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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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Esthers war die einzige unversehrte im ganzen Haus, ihr Anblick war so vertraut, dass er unwillkürlich anklopfte, bevor er hineinging. Aber innen war es wie überall, auch bei Nachum und in den anderen Kammern.
    Kein Laut, kein Mensch. Rauch und das Rascheln von Stroh auf dem Fußboden, wenn der Durchzug durch die zerschlagenen Fenster stärker wurde.
    Eine schwarze Ratte hockte mitten in der Stube und nagte an einem Fetzen eines Buches. Christoph schrie sie an, er trat mit den Füßen nach ihr. Sie wich seinen Tritten aus, indem sie zur Seite glitt, dann nagte sie weiter. Er trampelte, er brüllte, er warf nach ihr, er schlug mit einem Stuhlbein. Aber die Ratte wich immer aus.
     
     
    Philo berichtete: Löb, Abraham und die alte Esther seien tot. Von Esther und Nachum wisse er nichts.
    Er erzählte, wie schon vorgestern gegen Abend die Unruhe in der Stadt zugenommen habe, wie er sich zuerst gewundert habe über die vielen Holzkarren, die seit dem Nachmittag in die Stadt gekommen seien. Wie er noch spät zum Hause Löbs gerannt sei, um sie zu warnen, denn es sei jetzt auch geredet worden in der Stadt: Die Leute hätten sich die Hände gerieben und sich gefreut wie auf ein Fest. Wie aber die Türe bei Löb nicht geöffnet worden sei und wie ihm eingefallen sei, dass es der Vorabend zum Sabbat war, an dem nur ungern Besuch empfangen wurde. Wie er in seiner Verzweiflung gerufen und mit Fäusten gegen die Türe getrommelt habe und mit den Füßen gegen die Türe getreten sei. Nichts habe sich gerührt im Hause, in den Fenstern aber sei Licht gewesen. Wie er gedacht habe, dass die Familie bereits geflohen sei und Christoph mitgegangen sei, wie er immer gesagt habe. Er habe geglaubt, dass sie das Licht im Hause zur Täuschung hätten brennen lassen. Zu denken, dass sie sein Klopfen und Rufen gehört haben mussten –
    »Weißt du, ich war traurig, dass du ohne Abschied gegangen bist. Vielleicht wäre ich ja sogar mitgegangen – wir Gaukler lieben das Wandern. Aber letztlich war ich froh, dass ihr alle wenigstens in Sicherheit seid.«
    Christoph lächelte trüb.
    »Das haben sie sich gut ausgedacht im Rat dieser altehrwürdigen Reichsstadt! Die Juden waren alle in ihren Häusern – dieser Tag des heiligen Valentin war ja ein Sabbat. In der Nacht haben sie das Viertel der Juden mit Barrikaden verrammelt.
    Am Morgen des Sabbats haben sie die Juden aufgefordert herauszukommen, der Rat würde sie vor dem Pöbel schützen, wie es in den Statuten der Stadt vorgesehen sei, und ihnen die Flucht zuerst auf Schiffen über den Rhein und dann nach dem Osten ermöglichen. Es sei alles vorbereitet, sie müssten nur Vertrauen haben. Herr Dopfschütz und Herr Eisenhut haben das gesagt, von denen man wusste, dass sie die Juden immer beschützt hatten. Ich habe es selbst gehört. Sie haben sich auf die Barrikade gestellt und zu den Ältesten der Gemeinde gesprochen; bei denen war auch Löb.
    Aber ich war ja außerhalb der Barrikade und habe gesehen, wie sich der Pöbel bereithielt. Weißt du, sie haben sich zusammengerottet wie gegen Räuber. Wie gegen Diebe mit Schwertern und mit Stangen sind die Leute vor das Viertel der Juden gezogen, die Gassen waren schwarz vor Menschen. Die Leute waren ausgelassen wie bei einem Volksfest. Es wurde gejohlt, gegrölt und gelacht. Einige führten Fässchen mit Bier und Schnaps auf Karren bei sich. Es wurde gesoffen, gebrüllt und getobt, Schandlieder wurden gesungen. Eine Gruppe schrie immer im Takt: Juden raus! Juden raus! Juden raus!«
    Christoph presste sich die Fäuste ins Gesicht.
    »Noch schlimmer waren die Frommen, die unter der Anführung von schwarzweißen Mönchen Lieder sangen und Litaneien beteten. Sie führten sogar Fahnen mit Heiligenbildern mit sich.«
    »Und weiter?«
    »Dann sind die Juden still aus ihren Häusern herausgekommen. Sie hielten sich an den Händen und gingen ruhig, viele sangen oder beteten Psalmen. Familie um Familie kam. Viele weinten leise vor sich hin, nur die Kinder schrien und weinten laut, die Augen weit aufgerissen.
    Ich nehme an, dass die meisten wussten, was jetzt kam.
    Johlend und jubelnd wurden die Juden von ihren Mitbürgern auf der anderen Seite der Barrikade begrüßt. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Wie Tiere haben sie sich auf die armen Menschen gestürzt, die Familien auseinander gerissen, ihnen die Kleider vom Leib gezerrt und nach Geld durchsucht! Es gab Betrunkene, die sich an den Händen gefasst hielten und um die Juden herumtanzten.

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