Schwarzer Valentinstag
er vor Schwäche kaum mehr gehen konnte, aß er im Gehen. Der Himmel war weiß. Er hörte nur sein eigenes Keuchen.
Straßburg war die einzige Stadt am Oberrhein, in der die Juden verschont worden waren. Herr Dopfschütz und andere hatten die Juden geschützt. Die Auflaufe! Was war geschehen?
Die Fuhrwerke, die ihm auf der Straße entgegenkamen, und die Menschen, die er überholte, sah er kaum.
Manchmal verzögerte er den Schritt: Es hilft ja doch nichts. Bis ich in Straßburg bin, ist alles vorbei!
Dann rannte er wieder los.
Kurz hinter Benfeld, als die Beine längst zu Bleiklumpen geworden waren und er im Gehen fast einschlief, überholte ihn ein Fuhrwerk, das ihn mitnahm. Der Fuhrmann wies mit dem Peitschenstiel nach hinten auf die Ladung aufeinander gestapelter Tierhäute, die zum Gerber gefahren wurden. Hier konnte er die wunden Beine ausstrecken und schlief sofort ein.
Als er erwachte, war tiefe Nacht. Der Fuhrmannskarren stand im Hof einer Herberge.
Nicht lange nach Sonnenaufgang war er in Straßburg.
Die Luft war erfüllt von Glockenklang, die Gassen lagen friedlich im Morgenlicht. Richtig, heute war Sonntag. In der Spitalkirche sangen Mönche, über die Ill herüber trug die laue Luft Gesang aus der Thomaskirche, die Portale der Nikolauskirche standen offen, die Leute trugen Sonntagskleidung und gingen zum Gottesdienst. Aus den Häusern hörte man Lachen und Kinderweinen, es roch nach frischem Gebäck und nach heißer Milch. Die Schornsteine rauchten. An den Ufern der Ill schnatterten die Gänse und plusterten sich die Enten, die Weiden hatten bereits einen grünen Schimmer, silberne Kätzchen traten an den Zweigen hervor.
Alles war gut! Nichts war geschehen. Die guten Mächte hatten sich durchgesetzt und hatten die Juden behütet. Die Erzengel und Propheten waren von ihrer Säule im Münster herabgestiegen und hatten sich vor die Synagoge gestellt. Das Auge des Münsters hatte wie seit hundert Jahren über der altehrwürdigen Stadt gewacht.
Niemand hatte den Juden ein Leid zugefügt.
Esther würde ihm zulächeln, Abraham und Löb würden ihn loben.
Er tastete nach dem Bündel, das er dem alten Abraham zurückbrachte, es war sehr leicht – sicher ein wichtiger Brief, ein Vertrag vielleicht, den Herr Schwarber unterschrieben hatte und der sehr eilig gewesen war, man konnte den Knoten eines Siegels spüren. Die Geschäfte gingen weiter. Der Magen knurrte.
Alles würde sein wie immer!
Unter einem Baum spielten Kinder.
Zwei kleine Jungen und ein noch kleineres Mädchen rauften um etwas Buntes. Die Jungen schrien und zogen sich an den Haaren. Das Mädchen weinte, einer der Jungen trat nach dem anderen mit den Füßen: »Gib das sofort her! Es gehört mir!«
Christoph trat näher. Die Kinder stritten sich um ein großes abgerissenes Stück Pergament. Zeichen waren darauf, kostbare goldene, blaue und rote Schriftzeichen. Die Schrift war hebräisch! Die Welt begann sich zu drehen –
Totenstille. Rauch stand in den Gassen im Judenviertel. Im Dreck lag eine winzige Holzpuppe. Die Pergamentfüllungen der Fenster waren eingedrückt, die Türen eingeschlagen. Vor der Synagoge verkohlte Fetzen von Pergament – halb verbrannte Bücher, die Türen zerhackt, die bunten Fenster knirschten unter den Schuhen.
Im Hause Löbs kein Laut – die Wände waren kahl, Stühle und Tische umgestürzt, Truhen offen und leer. Überall Rauch und Kalkstaub. Mitten in der großen Stube schwelte ein Aschenhaufen – die Dielen waren verkohlt, halb verbrannte Gegenstände waren verstreut, überall Fetzen von Büchern. Das Bücherbord war von der Wand gerissen. Die Thorarolle lag zerfetzt. Der Leuchter war umgestürzt. Die Fenster waren eingeschlagen, das Geschirr zertrümmert – Scherben mit vertrauten Mustern, Scherben. Die Wandvertäfelung war an vielen Stellen herausgerissen, aufgebrochen, zerhackt. Seine Augen brannten.
Christoph hockte auf dem Boden und starrte vor sich hin.
Irgendwo steckte ein Klotz, der seine Fäuste zusammenballte. Schreien, schreien! Seine Lippen formten nur ein Krächzen.
Ein Luftzug spielte mit Asche und verkohltem Stroh.
Es war kalt.
Nach langer Zeit ging er die Stiege hinauf zu seiner Kammer. Auch hier war alles um und um gekehrt. Die Füllung des Bettes herausgerissen, seine Kleider verschwunden. Die Truhe hatte man zerhackt. Selbst der Putz der Wände war an vielen Stellen aufgeschlagen. Die Tonplatten des Fußbodens waren überall aufgebrochen.
Die Türe zur Kammer
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