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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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Straßenjungen schrien Schimpfwörter und spuckten sie an. Faulige Eier flogen, verdorbenes Gemüse prasselte auf sie herunter. Andere schrien auf sie ein und viele ganz entsetzliche Menschen schlugen mit Prügeln und mit Stangen und Latten auf sie los.«
    »Und die Familie Löbs?« Christoph weinte.
    »Der alte Abraham ging aufrecht und so voller Würde, dass ihn niemand anfasste, es entstand ein freier Raum um ihn. Ähnlich war es mit der alten Esther. Anders war es bei Löb, bei ihm hatten viele Schulden.«
    Philo schwieg.
    »Esther und Nachum – «
    »Ich bin den ganzen schrecklichen Zug auf und ab gegangen, oft und oft, aber ich habe beide nicht gesehen. Ich bin sicher, dass sie nicht dabei waren.«
    »Ganz sicher?«
    »Ich habe gehört, dass sich einige in der Mikwe, dem Bad tief unter der Erde, versteckt hatten. Aber Männer sind hinabgestiegen und haben sie herausgeholt.«
    »Waren Esther und Nachum nicht dabei?«
    »Sicher nicht. Ich habe zwar die Menschen, die sich in der Mikwe versteckt hatten, nicht gesehen – es seien vor allem Frauen gewesen –, aber Esther und Nachum waren nicht dabei, ich hätte sie sonst in dem Todeszug wieder sehen müssen. Das ist die Wahrheit.«
    Er schwieg.
    »Du verschweigst mir etwas.«
    »Es gibt etwas, das kann man kaum erzählen. Man schämt sich: Sie haben junge Mädchen und Frauen aus dem Zug herausgeholt und trotz ihres Sträubens in Hauseingänge geschleppt – «
    Er schwieg wieder.
    »Aber auch sie wurden dann meist umgebracht. Manche haben vielleicht überlebt. Vor allem, wenn sie sich taufen ließen.«
    Es war wie in den anderen Städten.
    »Kann Esther nicht bei diesen Frauen gewesen sein?«
    Sollte man es wünschen?
    »Nein. Ich stand zuerst direkt an der Barrikade nicht weit vom Haus der Familie und habe gesehen, wie sie herausgekommen sind. Ich habe den Rabbiner David Walch gesehen, den du kennst, und den Kantor Meiger, den du auch kennst. Auch sie schritten mit großer Würde, dennoch wurden beide beschimpft und sehr misshandelt. Esther und Nachum waren nicht dabei! Auch Rebekka, die Freundin Esthers, habe ich nicht gesehen.«
    Er schwieg wieder lange.
    »Fast schlimmer als alles andere waren die Frommen mit ihren Fahnen und Litaneien – wie Geier stürzten sie vorwärts, wenn sie einen Säugling sahen, und rissen ihn seiner Mutter aus dem Arm. Sie wollen sie taufen und in Klöstern christlich erziehen. Es gab richtige Kämpfe um die Kinder. Sie halten es für ein gottgefälliges Werk.«
    »Und – «
    »Das Ende kam nach Stunden voller Quälereien und Gemeinheiten, die man nicht erzählen kann. Wie das Vieh haben sie die armen Menschen nach Rotenkirchen getrieben, dort bei dem Haus der Aussätzigen hatten sie in der Nacht Scheite und Reisigbüschel geschichtet und darüber auf Holzgerüsten Hütten aufgeschlagen. Du kennst das ja alles, wie es aus Basel berichtet worden ist. Sie haben die Juden, Männer, Frauen und Kinder, in die Hütten gesperrt und bei lebendigem Leibe verbrannt. Als das Feuer aufloderte, krochen manche mit rauchenden Kleidern aus der aufflackernden Glut. Sie wurden vor meinen Augen mit Äxten und Prügeln totgeschlagen.«
    Philo weinte.
    »Weißt du, es gab sehr viele, die nicht einverstanden waren mit dem, was da geschah – manche weinten. Aber keine Hand hat sich gerührt für die armen Menschen.«
    Er schwieg lange.
    »Auch ich habe keine Hand gerührt.«
     
     
    Am Tag darauf verkündigte der Rat, dass alle Schulden an die Juden nichtig seien. Das Geld der Juden werde an die Zünfte verteilt. Aber es gab noch lange Streit darüber, ob die Schulden an die Juden jetzt von der Stadt oder vom Bischof eingetrieben werden durften. Viel von dem Geld der Juden bekamen die schwarzweißen Mönche.
    Während die Juden zum Tode geführt wurden, hatte man ihre Häuser ausgeraubt. Manche waren angezündet worden, auch die Synagoge und die Cheder. Aber es kamen Männer vom Magistrat, die sofort befahlen zu löschen, damit das Feuer nicht auf die umliegende Stadt übergriff.
     
     
    Wenige Wochen später war ein Fest in Straßburg: Ein Brief des Kaisers, der sich gerade in Speyer aufhielt, gewährte allen Bürgern der Stadt Straßburg Straffreiheit für den Mord an den Juden. Er wurde auf allen Plätzen der Stadt vorgelesen und die Menschen jubelten und schrien: »Jetzt ist es gewonnen, jetzt kann uns nichts mehr geschehen!« Ihre Stimmen waren grell, ihre Gesichter verzerrt.
    Nachrichten kamen aus dem ganzen Reich – überall hatten die Bürger

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