Schwarzer Valentinstag
einiger Zeit stand er auf und ging hinaus. Im schwarzen Mühlkanal stand das aufgestaute Wasser. Illabwärts hockte das dunkle Schiff der Thomaskirche. Das Stampfen der Mühlen ließ den Boden dumpf vibrieren. Der Gestank der Tierhäute kam mit einem Windstoß über die Ill. Christoph ging über die Schindbrücke mit ihren verschlossenen Buden und vorbei am rötlichen Stumpf des Münsters.
Er begann mit sich selbst zu reden.
Das Viertel der Juden war leer. Einige bleiche Gesichter schauten aus den Türeingängen der getauften Juden. Christoph trat auf die Pflastersteine, als wäre es das Gesicht des Herrn Dopfschütz. Lange stand er vor dem Hause Löbs. Die Türe war versiegelt. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Der Türpfosten war aufgehackt, die Mesusa herausgerissen, der Segen des Hauses – Du sollst den Herrn, deinen Gott –
Er scharrte in den Splittern der zerstörten Fenster der Synagoge –
Er blickte trostlos durch die Fensterlöcher in die verwaiste Cheder hinein mit ihren Tischchen und Bänkchen, die alle Kindergröße hatten und über die man so herzlich hatte lachen können. Jetzt waren viele der kleinen Möbel zerhackt und teilweise als Brennholz neben der eingeschlagenen Türe aufgestapelt –
Er sah den Brunnen, den jetzt niemand mehr bewachte. Die Eimer hingen daran noch in Reihen –
Auf dem Markt begegnete ihm ein seltsamer Zug. Feierlich schritten Männer in einer langen Prozession, sie trugen kuttenartige Gewänder, von deren Gürtel eine lange Peitsche mit vielen Riemen herabhing.
Nun hebet auf eure Hände,
dass Gott das große Sterben wende.
Nun hebet auf eure Arme,
dass Gott sich unser erbarme.
Kyrieleis!
Ihr Gesang hallte dumpf von den Häusern wider. Ganze Trauben von Menschen standen um sie herum oder zogen neben ihnen her. Frauen liefen mit, ihre Kinder auf dem Arm.
In der Menge wurde Schluchzen hörbar. Rufe wurden laut, wie Herr erbarme dich. Verschone uns vor dem schwarzen Tod!
Weshalb haben sie Angst?, dachte Christoph zornig. Sie haben doch die Brunnenvergifter umgebracht. Es kann doch gar keine Pest mehr geben!
Der Älteste der Geißler, ein riesiger, hagerer Mensch, der den Zug anführte, erhob die Stimme zu einem heiseren Singsang: »Lasset uns beten zu dem Ende, dass Gott das große Übel gnädig von uns wende. Ihr habt zwar die Juden verbrannt, aber ihr habt eure Sünden nicht bekannt. Tut Buße, damit der Herr euch nicht schlägt und der Engel nicht den schwarzen Tod erregt! Der Untergang der Welt ist nah! Wie die Sintflut ist er da. Hebet die Arme zu Gott, dass er uns verschone vor Weltuntergang und dem schwarzen Tod!«
Nun hebet auf eure Arme,
dass Gott sich unser erbarme.
Kyrieleis!
Sein langer, dünner Bart wehte im Wind.
Dann schritten die Geißler langsam im Kreis mit erhobenen Armen. Sie sangen ein Lied, das endete:
Jesus, der ward gelabt mit Gallen.
Des sollen wir alle an Kreuze fallen.
Sie warfen sich so auf den Boden, dass immer zwei kreuzförmig übereinander zu liegen kamen. Mit Gebärden zeigten sie verschiedene Laster an, zu denen sie sich damit schuldig bekannten. Der Älteste der Geißler schritt über sie hinweg und schlug ihren Rücken mit seiner Geißel und sprach:
Stand auf durch der reinen Marter Ehre.
Und hüte dich vor der Sünden mehre.
Worauf sie wieder aufstanden. Als alle im Kreis standen, begannen sie sich zu peitschen, dass es schauerlich klatschte. Sie geißelten sich, bis das Blut herunterlief.
Der Älteste forderte die Bürger Straßburgs auf in seinen Orden einzutreten. Viele ließen sich einschreiben.
Christoph glaubte erstaunt Herrn Kropfgans bei den Geißelbrüdern gesehen zu haben.
»Wir müssen alles verschieben.« Herr Dopfschütz wanderte in seiner Stube auf und ab.
»Ist denn nichts zu machen?«, fragte Herr Eisenhut. »Es ging doch bis jetzt alles nach Wunsch.«
»Die Leute laufen weg, alles ist unzuverlässig. Wo ist denn der Kropfgans? Da habt Ihr es schon! Schlag drei wollten wir uns hier treffen. Aber er kommt und kommt nicht, jetzt hat es schon vier geschlagen!«
»Wie gesagt, zu den Geißlern sei er gelaufen. Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber es wird schon stimmen, er ist ein Schwächling.«
Herr Dopfschütz blieb mit einem Ruck stehen: »Aber reich!«
Dann setzte er seinen Schritt fort: »Man sollte diese Brut verbieten. Sie machen die Leute vollends verrückt. Was die Angst vor der Pest nicht schafft, das schaffen sie. Ich bitte Euch, ein gestandener Kaufmann – einer
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