Schwarzer Valentinstag
Gebrüll vom Marktplatz her wurde lauter.
»Herr Schwarber«, sagte Herr Dopfschütz höhnisch, »die Statuten sagen, dass im Rat die Mehrheit regieren soll, ich darf Euch daran erinnern. Wenn Ihr es nicht selbst merkt: Ihr habt die Mehrheit verloren, Herr Schwarber!«
Der Vater hatte Christoph vom Valentinstag in Frankreich erzählt. Junge Leute, die sich liebten, durften an diesem Tag ganz ernsthaft eine Verlobung auf Probe eingehen, die ein Jahr lang galt. Sie durften sich dann ein Jahr lang in aller Öffentlichkeit zeigen und galten als Paar. Das war bei Esther und ihm unmöglich. Sie brauchten noch viel Zeit. Abraham hatte es gesagt, Löb hatte es gesagt. Esther hatte es gesagt.
Esther ging ihm nicht aus dem Weg, aber sie hielt sich zurück – sie lächelte ihm zu. Zum Chanukkafest hatte sie ihm ein kunstvoll mit Goldfäden verziertes Käppchen geschenkt, wie es Abraham, Löb, Elieser und Nachum trugen. Sie hatte es selbst bestickt.
Im goldenen Muster war ein Elefant.
Der Tag des heiligen Valentin würde dieses Jahr auf einen Sabbat fallen. Hatte nicht sein Vater der Mutter einmal am Valentinstag eine Rose mitgebracht, und niemand erfuhr jemals, woher er sie hatte mitten im Winter! Konnte Christoph jetzt im Februar eine Blume bekommen?
Es wurde früh dunkel am Abend vor dem Tag des heiligen Valentin. Und es war viel später als sonst vor dem Sabbatmahl. Christoph fand keine Ruhe. Er hatte sich kein Licht geholt. Er ging in der dunklen Kammer auf und ab, dann schaute er wieder in das letzte Dämmerlicht hinaus. Alles war still. Auflaufe waren gewesen in der Stadt: Am Markt und am Münsterplatz hatten Menschenmassen gestanden und brüllend die Befolgung der Benfelder Beschlüsse verlangt. Aber das war schon ein paar Tage her. Die große Stadt war wieder zur Ruhe gekommen, ohne dass den Juden etwas geschehen war.
Er dachte an ein Gespräch am Vorabend. Nachum hatte wieder dringend die Flucht gefordert. Dabei hatte er gesagt: »Wir sind das auserwählte Volk Gottes. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gerettet werden!«
»Wenn er uns retten will, wird Gott dafür sorgen«, hatte der alte Abraham strenger gesagt, als man es von ihm gewohnt war.
Löb lehnte sich zurück: »Die Väter lehren, dass wir das auserwählte Volk Gottes sind, aber das heißt nicht, dass wir besser sind als andere, es heißt nur, dass Gott auf uns ein besonderes Augenmerk hat, dass er unsere Sünden besonders rächt. Auserwähltsein heißt Pflicht, Nachum.«
»Es heißt auch, dass Gott uns dafür ein Land verheißen hat.« Nachums Augen blitzten.
»Und dass er es um unserer Sünden willen wieder weggenommen hat«, sagte Löb trocken.
»Freilich kann er es uns auch wiedergeben, wenn er will«, sagte Abraham leise.
»Denn uns ist der Messias verheißen.« Nachum warf den Kopf zurück.
»Ja, der Friedenbringer. Er soll der Welt den Frieden bringen, Nachum, und nicht den Streit«, sagte der alte Abraham und erhob sich.
»Für uns ist das Jesus Christus«, hatte Christoph zaghaft eingeworfen. »So sagen es die Priester und Mönche.«
»Du darfst das gerne glauben«, erwiderte Löb, »aber den Frieden hat er nicht gebracht, bis jetzt wenigstens noch nicht.«
»Streit bringt er und Verderben.« Nachums Augen blitzten wieder.
»Nicht er«, hatte Abraham kaum hörbar gesagt, »er war ein Jude, sehr sanft und voller Liebe, Nachum.«
In wenigen Minuten würden sich alle begrüßen: »Schabat Schalom!«, und dann zusammen den Beginn des Sabbats feiern. Die Frauen hatten das Essen vorbereitet, den Tisch gedeckt, die Kerzen angezündet, bis die Männer aus der Synagoge zurückkämen. Alle würden sich in der Küche die Hände waschen wie vor jeder Mahlzeit, die linke Hand, die rechte. Die Frauen würden das Essen auftragen und sich zu den anderen an den Tisch setzen. Der alte Abraham würde den Tallit, den Gebetsmantel mit den Gebetsschnüren, tragen. Er würde den Becher mit Wein segnen, das Salz über die Challot streuen, die beiden geflochtenen Brote, von denen Christoph mitessen durfte. Er kannte sogar oft die hebräischen Worte.
Baruch ata, Adonaj Elohejnu, Melech Ha’Olam,
ascher kidschanu Be’Mitzwotav we ziwanu,
le’hadlik Ner schel Schabbat.
Gelobt seist du, Herr, unser Gott, König der Welt,
der du uns geheiligt durch deine Gebote
und uns befohlen hast, das Sabbatlicht anzuzünden.
Es klopfte an seiner Türe. Esther? Zu seiner Verwunderung war es Abraham: »Wir brauchen kein Licht.« Er drückte ihn in der
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