Schwarzer, Wolf, Skin
solle sofort aufhören. Er verdrosch gerade meine Mutter. Meine Schwester lag schon am Boden und weinte. Ich hab mich vor ihn gestellt und hab ihm gesagt, daß jetzt Schluß sei mit dem Dreschen. Saufen könne er ja, solange er wolle. Ich hab ihm den Schlauch aus der Hand genommen und in den Müll gesteckt. Er hat keinen Ton von sich gegeben. Er stand da wie ein kleiner Junge. Ich hab ihn in sein Zimmer geschoben und hab meiner Mutter gesagt, sie solle in meinem Bett schlafen.
Ich selbst hab mich in den Flur auf die Couch gelegt. Das hab ich von da an jede Nacht gemacht. Ich kann es nicht haben, wenn meine Mutter verdroschen wird und meine Schwester. Oder wenn mein Vater über sie steigt. Auch über meine Schwester. Ich weiß jetzt: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner! Das ist so ‘n Spruch, aber ein wahrer.
Ich hab mich gut gefühlt, weil keiner mehr geschlagen wurde. Obwohl mich das ja oft anturnt, besonders, wenn es auf Kanaken geht.
8
Am nächsten Morgen hatten wir alle einen ziemlichen Durchhänger. Ich wurde um elf Uhr wach. Ich hörte meine Mutter in der Küche. Obwohl ich auf der Couch im Flur geschlafen hatte, hatte ich nichts mitgekriegt. Mein Alter war schon zur Arbeit, meine Schwester Dany in der Schule.
Meine Schwester Manu lebt nicht mehr. Als mein Alter mal auf sie drauf wollte – er hatte sie natürlich erst wieder kräftig durchgeprügelt –, ist sie auf den Balkon. Sie muß geschrien haben, aber die Nachbarn haben wohl nichts gehört, wollten auch nichts hören oder haben ihre Rolläden ein bißchen dichter gemacht. Nur eine alte Frau hat die Polizei gerufen. Aber als die Bullen unten im Garagenhof ankamen, flog Manu ihnen gerade entgegen aus dem siebten Stock und war tot. Natürlich kamen noch Rettungswagen und Sanitäter und alles. Aber sie war tot, mausetot. Und da auf einmal, mitten in der Nacht, da wurden auch die Leute wach, standen alle auf den Baikonen und gafften. Arschlöcher. Warum nicht vorher? Weil sie doch alle Angst haben. Alle haben Angst. Und jeder versteckt seine Angst, so gut er kann. Das ist auf jeden Fall meine Meinung.
Mein Alter bekam natürlich auch mächtig Schiß, als er sah, was passiert war. Er rannte runter. Aber das hätte er gar nicht zu tun brauchen, denn in solchen Fällen kommt jede Menge Polizei freiwillig in die Wohnung und fragt und fragt. Immer dasselbe. Und mein Vater sagte, daß Manu immer schon so gewesen wäre. Er hätte sie nur hindern wollen zu springen. Das stimmte gar nicht. Und ich hab einen Augenblick überlegt, ob ich sagen sollte, was Sache war. Aber dann hab ich nur gedacht: Das hier hat ihm sicher einen Schock versetzt. Er wird hoffentlich anders sein, anschließend. Und immerhin verdiente er das Geld. Und ich war ja auch gar nicht sicher, ob ich es fertigkriegte, ihn hinter Schloß und Riegel zu bringen. Da hab ich wieder mal die Schnauze gehalten. Manu war kaputt. Ich meine nicht tot. Tot war sie jetzt auch. Aber sie war schon vorher kaputt. Sie wollte nicht mehr. Ich glaube, mein Alter hat es echt zu toll mit ihr getrieben. Manu sah gut aus. Und ich denke, solche Mädchen haben’s oft nicht leicht. Und meine Mutter hat nichts gesagt. Die war wahrscheinlich froh, daß er sie selbst nicht bestieg. Dafür bin ich meiner Mutter ziemlich böse. Aber was bringt es? Manu ist tot. Und ob böse oder sehr böse oder überhaupt nicht böse, das ändert nichts. Und sprechen tun wir eigentlich nie darüber. Wir können das nicht. Andy hat mal gesagt, das liege wohl daran, daß alle so viel zu ertragen hätten, daß die Worte dann irgendwie nicht mehr herauskämen. So oder so ähnlich. Sprechen ist schwer. Man verrät sich dabei. Man müßte ja auch sagen, wie sehr man Angst hat. Vor allem: Vorm Schlagen. Vor der Arbeitslosigkeit. Stecken die meisten ja schon mittendrin. Und vor der Zukunft, davor, daß wir alle mal vor die Hunde gehen in dieser verpesteten Welt. Die Angst hat doch jeder heute und rennt damit rum in seinem Schädel. Und die Politiker halten große Reden und reden immer drum herum. Und die Lehrer reden über was anderes und sagen, das wäre wichtig. Deswegen hat Schule mir auch so gestunken, weil das, was für mich wichtig war, nie drankam.
Da sind wir Skins anders. Wir wissen, was wir wollen, und prügeln dafür. Wir Skins hauen drauf. Ich finde, das ist doch die fairste und direkteste Art. Und was anderes hat uns keiner gezeigt. Schlagen und geschlagen werden.
Meine Mutter hat mir einen Tee gebracht. Tat
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