Schwarzer, Wolf, Skin
austauschen, aber sie wollten auch informieren.
»Wir müssen anfangen, die Wahrheit auszusprechen«, sagte er, und er kam wieder auf sein Lieblingsthema: »In Auschwitz lebten Juden und arbeiteten. Aber sie wurden nicht vergast und umgebracht. Das müssen wir an die Öffentlichkeit bringen.« Er zeigte mir Zahlen: Die französischen Ermittlungsstellen für Kriegsverbrechen hatten 1945 acht Millionen ermittelt. Es war eine Reihe von weiteren Ermittlungsstellen aufgelistet. »74000 Tote dokumentieren die sehr genauen Totenbücher für die gesamte Lagerzeit. Sie wurden jetzt von den Sowjets herausgegeben, sind aber nicht ganz vollständig. Da sieht man mal den Schwindel! Nur 74000!« sagte er.
»Aber wenn sie nicht ganz vollständig sind?« fragte ich.
Er lief rot an. »Vollständig hin, vollständig her«, sagte er immer lauter. Er schrie: »Junge, daran mußt du dich gewöhnen. Wir sind häufig nur auf vages Zahlenmaterial angewiesen, aber wir müssen uns unser Bild machen. Da im Kopf. Wir müssen doch denken! Und die Wahrheit muß heraus!«
So hatte ich ihn noch nie gesehen. »Und der Leuchter-Report«, fügte er hastig hinzu, »der beweist es doch. Es ist doch klar. Es hat keine Vergasungen gegeben. Der Leuchter-Report sagt es. Da steht es schwarz auf weiß.«
Ich nickte bloß.
»Das hab ich denen gestern abend auch erzählt.« Er war jetzt in Fahrt. »In unserem Terrorsystem hier in der BRD sind wir doch die einzigen, die bereit sind, diese Zeit vollständig aufzuarbeiten. Dabei werden wir verboten! In diesem Terrorsystem ist es doch an der Zeit, Schulungen zu machen über das wirkliche Ausmaß, über die wirklichen Zahlen, über die Hintergründe und über alles, was Hitler wirklich wollte. Erst dann erkennen wir seine Größe! Es muß doch endlich etwas getan werden. Alles für Deutschland!« Er schaute mich an. »Wenn du mir hilfst und vielleicht noch ein anderer, der auch verläßlich ist, dann könnte ich hier Schulungen durchführen, Kameradschaftsabende, Vorbereitungsabende für die großen Schulungen, die von höherer Parteiebene abgehalten werden. Dann haben wir ganz andere Möglichkeiten.«
Ich fragte ihn, ob ich in eine Partei eintreten müßte.
»Nein, mußt du nicht. Wir leben schließlich in einem freien Land. Wir wollen uns nur kümmern und dich in Freiheit zu dem führen, was wahr und richtig ist.«
Eigentlich hatte ich mich danach immer gesehnt, schon als Kind: daß mir einer sagte, was wahr und richtig ist. Wer sagt einem das denn in unserem Staat? Keiner. Jeder läßt jeden wurschteln und suchen. Für sich. Kirche, Eltern, Schule. Wer spricht schon mit uns? Und das ist der Grund, warum wir nicht sprechen können. Warum wir keine Worte haben. Wir lernen diese wahren und richtigen Worte ja von keinem. Aber die hier, die versuchen es. Das ist es, was viele Jugendliche wie mich auch so magisch anzieht an der Sache, an der rechten Sache: daß uns einer braucht, daß wir wichtig sind, daß einer auf uns setzt, daß deutsche Männer gebraucht werden. Daß uns einer sagt, was wahr und richtig ist und wohin der Weg geht. Das hatte mir noch nie einer gesagt.
10
Und jetzt? Jetzt hatte ich ein Ziel vor Augen. Jemand brauchte mich. Der Tag war eingeteilt. Es lief!
Auf dem Nachhauseweg pfiff ich vor mich hin. Ich war völlig happy. Ein neues Leben fing an. Jetzt. Sofort. Ich hätte schreien können vor Freude. Gleich würde ich erst mal eine Runde Bier springen lassen. Für alle.
Am Hauptbahnhof stieg ich aus. Stieß sofort auf eine Gruppe Skins. Eine andere Gruppe. Es gibt in unsrer Stadt so fünf bis sechs Gruppen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Wir kennen uns nur. Und haben die gleichen Ziele: Zoff und Ausländer raus. Und wenn die Bullen kommen, halten wir zusammen wie Pech und Schwefel.
Die Gruppe war aus einer Hochhausvorstadt, wo auch tote Hose ist. Aber echt. Die meisten von denen sind arbeitslos. Einige haben auch mit der Familie zu Hause nichts mehr zu tun. Ich mochte die Typen ganz gerne und spendierte ein Bier. Die guckten zwar ein bißchen. Ich erklärte, ich hätte eine Stelle. Einer sagte, da sollte ich mich mal nicht so haltlos freuen, denn dann müßte ich jeden Tag raus zur Maloche. Ein anderer kickte mich an. Nur mal so. Zum Spaß.
Ich bin einfach weitergegangen durch die Einkaufspassage. Da waren ‘ne Menge Bekannte. Plötzlich rempelte mich einer von hinten an. Ich wollte gerade zurückrempeln, aber da merkte ich, daß er es nicht so gemeint
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