Schwarzer, Wolf, Skin
nicht verstehen«, hatte er mal gesagt. »Mein Alter macht ja so ‘nen ganz netten Eindruck. Aber wenn du mit dem zusammen bist, bist du ‘ne Null. Auf jeden Fall meinst du das, hast so das Gefühl. Solange alles läuft, braucht er sich ja nicht zu kümmern. Nach dem Motto läuft das. Und das spürste, und das stinkt einem. Wenn du dann aber plötzlich mit rasiertem Kopf kommst, dann guckt er. Und da ist er halt ausgerastet. So ist das doch in unserer Gesellschaft: Jeder rennt für sich herum. Und wenn du auch tausend fremde Gedanken in deiner Birne hast, die will keiner hören. Nur wenn du die Birne von außen veränderst, dann stehen die Zeichen plötzlich auf Sturm. Dann kommen so die Schuldgefühle hoch bei denen. Und dann haben sie auf einmal Zeit und sagen, sie hätten doch immer Zeit gehabt. ›Hast du es denn nicht gut bei mir, mein Sohn?‹ So was bringt mein Vater dann. ›Und war ich nicht immer für dich da?‹ So eine Scheiße! Aber deine Leere vorher, daß du suchst, daß du fragst, das merkt keiner. ›Keine Zeit‹, sagen sie dir, klappen die Ohren zu und rauschen mit Anzug und Aktenkoffer in ihren Luxuslimousinen davon. Bonzen!«
Trotzdem dachte ich, der hat wenigstens einen, zu dem man, ohne rot zu werden, Vater sagen kann. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen.
»Was haste da denn wieder für’n Scheiß?« fragte Andy den Vater plötzlich. Er hatte schon lange zu einem Tischchen rübergeschielt. Da lagen Zeitungsausschnitte. Er angelte den obersten und las vor:
Rechtsradikale Schläger in Frankfurt/Oder nach Gewalttat gegen jungen Schwarzen vor Gericht. Eine Rotte junger Rechtsradikaler war gerade damit beschäftigt, den dunkelhäutigen Arbeiter aus dem früheren Schlacht-Kombinat Eberswalde… wie einen Spielball hin und her zu prügeln. Er übersprang einige Zeilen. Als Grund nickte der Täter nur, als der Rechtsanwalt vorlas: »Ich kann Neger nicht leiden.«
»Ich auch nicht«, sagte Andy völlig cool. Er las weiter: Von Reue oder Schuldbewußtsein spricht keiner. »Ist doch auch Mist!« Andy knallte den Zeitungsausschnitt auf den Tisch. »Die Ausländer sollen sich dünnemachen, dann haben sie nicht die Scherereien. Schuldbewußtsein, Schuld, das ist doch Mist.«
Andy hatte schon recht. Ich konnte auch nicht viel damit anfangen, denn auch als wir den Türken kurzmachten: Was konnte ich dafür, daß der hier war?
»Warum habt ihr eigentlich überall Feinde? Warum baut ihr euch Feindbilder auf?« fragte der Vater nach einer Pause.
»Macht ihr Sozis das anders?« fragte Andy und zog seinen Kaugummi lang aus dem Mund. Er legte die Beine auf den Tisch.
Der Vater blieb ruhig: »Ich bin kein Sozi, ich bin SPD-Mann. Das ist ein Unterschied.«
»Nicht für mich«, sagte Andy. »Links ist links. Ich glaub, ich hab auch was bei mir«, juxte Andy und fummelte in seiner Jacke herum. Zog zwei Zettel heraus. Hatte der doch glatt eine Rede von Hitler dabei. Echt stark! Andy begann vorzulesen:
Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes, als deutsch denken, deutsch handeln. Und wenn nun dieser Knabe und dieses Mädchen mit ihren zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort nun so oft zum erstenmal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei oder in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs oder sieben Monate geschliffen, alle mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewußtsein oder Standesdünkel da oder dort noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie dann nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter. Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.
»Der letzte Satz sagt doch alles«, sagte der Vater. »Da steht’s doch.«
»Nee, nicht ganz«, sagte Andy. »Was sollen wir mit unserer verdammten Freiheit, wenn sich keiner einen Dreck um uns schert? Für alles
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