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Schwarzer, Wolf, Skin

Schwarzer, Wolf, Skin

Titel: Schwarzer, Wolf, Skin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hagemann
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nichts.
    Ich hab einen Schatten gesehen, der lief hinein. In das Haus. Und hinter uns kam Polizei und vor uns die Feuerwehr und dazwischen dieses ausländische Stimmengewirr und Hilferufe und Schreien. Und Weinen.
    Wo war Andy? Ich hab alles abgesucht mit den Augen. Aber er war nicht da. Ich hab einmal geguckt, zweimal, alles abgesucht.
    Wo war Andy? Ich hab auch wieder an den Schatten gedacht, der eben hineingesprungen war in das Haus. Aber das konnte doch wohl nicht sein! Und warum auch, was sollte er da machen? Und es schrie und heulte um mich herum. Auf einmal hatte ich wieder Andys Satz im Ohr: »Mensch ist Mensch.« Und dann hatte ich den Vater vor mir, wie er sagte: »Ihr müßt denken. Ihr müßt erst denken und dann handeln.« Und dann auch wieder die Rede von Hitler: Wir müssen sie formen wie Wachs… Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben…
    Alles wirbelte durch meinen Kopf: die Flammen, die Schreie, die Menschen, die Sätze.
    Wo war Andy?
    Die Feuerwehr löschte. Zwei Wagen standen hinten, zwei vorne. Dazwischen Mütter mit Kindern auf dem Arm. Auch Babys. Eine Mutter war da, die schrie schrecklich und reckte immer wieder ihre Arme nach oben, als wolle sie etwas holen, etwas beschwören.
    Wo war Andy?
    Ich wartete. Wartete. Wartete.
    Da erschien auf einmal Andy im Fenster. Im Fenster des ersten Stockes. Er hatte ein Bündel auf dem Arm. Die Feuerwehr stellte sofort eine Leiter an. Ein Feuerwehrmann kletterte hinauf und nahm Andy das Bündel ab, das jetzt zu schreien begann. Andy kam hinterher.
    Erst war ich wie vom Schlag getroffen. Sollte ich mich jetzt freuen, daß Andy wieder da war, sollte ich mich freuen, daß Andy lebte? Oder sollte ich wütend sein auf ihn? Der hatte ein Asylantenkind gerettet!
    Und noch ein ganz anderer Gedanke kreuzte schlagartig mein Hirn. Wenn ihn jetzt einer sähe! Einer von den Skins. Mit Sicherheit waren hier noch irgendwo Skins versteckt. Die würden den doch kaltmachen!
    Wie konnte Andy so etwas tun? Wie konnte er das? Ich mußte ihn warnen. Aber was nützte meine Warnung? Mit Sicherheit hatte die Polizei schon das ganze Gelände umstellt und hinten den Wald. Und dann würden sie uns alle schnappen. Ja, ich mußte ihn warnen. Trotz allem! Egal. Andy war mir wichtig.
    Und wozu sollte ich ihm raten? Diesem Andy, der sich allein gegen alle gestellt hatte. Diesem Andy, der sich öffentlich gegen alle gestellt hatte. Hatte er gar keine Angst?
    Ich war überzeugt, es würde morgen in der Zeitung stehen: Skinhead rettet Baby aus brennendem Asylantenheim.
    Würde er nicht auf jeden Fall kaltgemacht werden? Sollte er sich der Polizei stellen? Was sollte ich ihm raten? Die würden ihn kaltmachen, hinrichten, abschlachten, erschlagen.
    Doch ich hatte schon zu lange gezögert. Plötzlich hörte ich Schreie. Das war Andy. Ich rannte, so schnell ich konnte, in die Richtung der Schreie. Sie kamen aus dem Wald.
    Was war geschehen?
    Andy hatte sich sofort, als er von der Leiter gestiegen war, in der Menge verdrückt und war dann verschwunden. Die Menge hatte ihn geschützt. Aber seine Kameraden, da war ich sicher, die würden ihn nicht schützen.
    Wieder Schreie. Dazwischen das Prasseln des Feuers.
    Notarztwagen, die mit lautem Geheule und Tatütata davonrasten.
    Ich blieb stehen. Es war still. Ich lauschte in diese unheimliche Stille. Stimmen. Schritte. Ich schaute hinter mich. In meinem Rücken Polizei. Ob sie hinter mir her waren? Ob sie mich suchten? Oder ob sie auch die Schreie gehört hatten? Ich rannte. Blieb stehen. Im Schutz eines Baumes.
    Da sah ich einen am Boden liegen. Blut. Ich sah einen drauftreten. Auf dem Kopf herumspringen. Auf Andys Kopf. Diese Schweinehunde: Skins, Kumpels, Kameraden! Und ich sah einen, der einen großen Knüppel nahm und ausholte…
    Da wurde ihm von hinten der Arm gehalten. Von allen Seiten kam Polizei. Sie warfen die Skins zu Boden.
    Ich schaute hinüber. Andy regte sich nicht mehr. Auch kein Stöhnen mehr. Blut aus dem Kopf, Blut auf der Stirn. Er lag mit dem Gesicht nach oben. Sie hatten ihn umgebracht. Die Kameraden, die Freunde!
    Ich hab einmal gehört, daß sich in einem Augenblick alles zusammenballen kann. Ich sah Andy, ich sah die Polizei. »Das Denken ist verkürzt«, hörte ich Andy wieder sagen. Damals. Aber es war noch in meinem Kopf. Hier war auch etwas verkürzt. Hier war etwas abgeschnitten. Leben. Andys Leben. Sie hatten ihn umgebracht. »Mensch ist Mensch«, hörte ich Andy sagen. Und plötzlich schob sich das Bild des

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