Schwarzes Gold Roman
Vebjørn, du alter Penner, wie reich
soll ich denn noch werden?«
»Ich werde am nächsten Ersten eine neue Stellung
antreten.«
Erst: fünf Sekunden Stille. Danach: ein Blick auf die
Zigarre. Die Gedanken ratterten. Dann endlich die Reaktion: »Was redest du
da?«
»Ich habe mich auf eine andere Stelle beworben und sie
bekommen.«
Eine solche Stille, wie sie nun durch die Fenster in Georg
Spennings dunkelbraun getäfeltes Reederbüro drang, hatte Vebjørn in diesem
Raum noch nie wahrgenommen. Die nächste Reaktion würde heftiger ausfallen,
und sie würde von etwas anderem als Verwirrung getrieben sein.
Point of no
return,
dachte er und wusste – ohne zu ahnen warum –, dass im Kopf des
Reeders etwas Ungewöhnliches vorgehen musste.
»Willst du mich verarschen?«
»Keineswegs.«
»Was für eine Stelle ist das?«
»Stellvertretender Geschäftsführer bei der CBK.«
»Bei einer Bank?« Spenning verzog das Gesicht, als hätte
er etwas Verdorbenes gegessen. »Stellvertreter?«
Vebjørn hatte keine Lust, sich anzuhören, was jetzt kommen
würde. Deshalb erhob er sich und ging zur Tür.
Spenning saß groß und bleich hinter seinem Schreibtisch.
»Ausgerechnet du, den ich zum König machen wollte«, flüsterte er.
Vebjørn wusste, dass er umgehend die Türe öffnen und
diesen Raum verlassen musste. Aber er blieb stehen und ließ es über sich
ergehen. Georg Spenning hatte einen wunden Punkt getroffen: Die neue Stelle war
alles andere als ein Schritt nach oben auf der Karriereleiter. Georg hatte an
das gerührt, was Vebjørn zeitweise selbst als eine seiner schlechten
Eigenschaften ansah: Er war manchmal konfliktscheu. Auf der Suche nach
Integrität spürte er viel eher das Verlangen, seine Ketten zu sprengen, als
die Notwendigkeit, sich um seiner Karriere willen zu verbiegen. Vebjørn
empfand diese Seite an sich selbst als eine Art genetischer Nemesis, von der er
sich nie würde befreien können. Er war der Sohn eines Mannes, der sein ganzes
Leben Waldarbeiter gewesen war. Es gab eine Eigenschaft, die zu Hause niemals
akzeptiert wurde: Größenwahn. Etwas Besseres sein zu wollen, wurde als Verrat
an der eigenen Herkunft gesehen. Es hieß, ins eigene Nest zu scheißen. Obwohl
Vebjørn mit seiner Berufswahl gegen dieses Gebot rebelliert hatte, hatte er
sich nie Generaldirektor nennen können, ohne dabei eine Spur von Scham zu
empfinden.
Doch Vebjørn Lindemans Begabung, zuhören zu können, kühl
zu kalkulieren und sich dabei nicht von Prestige, Namen, Titeln oder anderen
Nebensächlichkeiten beeindrucken zu lassen, waren Fähigkeiten, die ihn in
Georg Spennings Augen einzigartig und unersetzbar machten. Und zu eben diesen
Eigenschaften gehörte auch das Einfühlungsvermögen, das Vebjørn jetzt, auf
dem Weg zur Tür und in frischere Luft, trotzdem noch Sorge um den Reeder
empfinden ließ. Er wusste, was kommen würde, und dennoch sah er in diesem
Moment einen kleinen und einsamen Georg Spenning vor sich, fast wie ein müder
und verlassener Hund, der an einen Baum im Wald gekettet war. Darum ließ
Vebjørn es über sich ergehen. Er ließ Georg Spenning allen Dreck auskippen.
Er protestierte auch nicht. Er sagte kein einziges Wort. Er ließ den Mann sein
Geschäft verrichten. Erst dann drehte er sich um und ging.
An den darauffolgenden Tagen kam er nur noch, um sein Büro
auszuräumen. Es dauerte zwei Wochen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren nahm er
sich zwischen Weihnachten und Neujahr frei und war bereit, am Dienstag, den
zweiten Januar 1973, seine neue Stellung anzutreten.
Erster Teil
Listen, I learned this about human nature when I was but
so high, and that is: That the strong take away from the weak, and the smart
take it away from the strong.
Aus: The Oklahoma Kid
1
Anders lief barfuß durch das Gras und genoss es, den grünen
Teppich unter den Füßen zu spüren; weiche, kühle Halme zwängten sich
zwischen die Zehen, der Boden federte, und bergab lief es sich wie von selbst.
Wo die Wiese zu Ende war und in einen Kartoffelacker überging, lief er
zwischen zwei aufgehäufelten Dämmen weiter. Das Kartoffelkraut strich ihm an
den Schenkeln entlang, er rannte weiter, sprang über den Grasstreifen, der wie
ein Beet zwischen den Traktorspuren des Feldweges wuchs, landete in
Wiesenliesch- und Knäuelgras. Weiter ging es zwischen Rotklee, Schwingelgras,
Labkraut und Lichtnelken zum Fluss hinunter, wo er seinen Weg entlang der
Traubenkirschbäume
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