Schwarzes Gold Roman
fortsetzte. Er sprang von Stein zu Stein, um sich am
Schotter nicht die Fußsohlen zu verletzen. Diese Strecke war ein Sprint, den
er immer automatisch gelaufen war, routinemäßig. Aber jetzt, dachte er, jetzt
bin ich zwölf Jahre alt, und da ist es albern, wie ein kleines Kind zu rennen.
In der Mühlenkurve drosselte er das Tempo, zögerte einen Augenblick und hielt
nach Schlangen Ausschau, ehe er sich seinen Weg durch die Himbeersträucher
brach und über die zwei Planken balancierte, die eine Brücke über den
Mühlenteich bildeten. Er sprang hinunter auf den Felsen, wo der Bach in eine
Senke lief, schlich voran und schaute in das murmelnde Wasser, wo die
Bachforellen pfeilschnell wie Schatten durch die Mulde vor dem kleinen
Wasserfall schossen. Die Fische wurden unruhig, als sie ihn sahen. Sie glitten
hin und her. Vor dem grün-gelben Bachbett glichen sie den dunklen Flecken in
ihrer eigenen Musterung. Am Fangplatz stellte er sich mit einem Fuß auf jedem
Stein auf. Auch bei diesem niedrigen Wasserstand war die Strömung dort, wo
sich das Wasser durch die Steine zwängte, groß. Lange stand er so da, bis er
nichts mehr hörte außer dem Rauschen des Baches. Noch ein wenig später
beugte er die Knie, hob den Arm und machte sich bereit zuzuschlagen.
Da! Er ließ die Hand ins Wasser schießen, unmittelbar vor
einer von ihnen. Perfekt. Der Fisch schwamm weiter geradeaus, direkt in seine
Faust. Die Forelle zappelte zwischen seinen Fingern wie ein lebendiger Muskel
– grünbraun mit roten und gelben Punkten. Er drückte den schlanken
Fischleib, hielt ihn fest. Der Fisch entleerte sich in seiner Panik. Schwarzer
Fischkot am Handgelenk. Anders grinste. Das kleine Fischmaul klappte auf und
zu, auf und zu. Er überlegte, ob er ihm das Genick brechen sollte, denn er
hatte die Macht dazu. Aber dann würde er ihn mitschleppen müssen, oder noch
ein paar mehr fangen, und das war Grund genug, den Fisch am Leben zu lassen. Er
entließ die Forelle in den brausenden Bach, entzückt darüber, dass es
unmöglich war, sie verschwinden zu sehen – so schnell schwamm sie in
Sicherheit, unter einen Stein. Anders ging weiter bachabwärts und entdeckte
Martin, der auf einem rostigen Dieselfass neben seinem Boot am Ufer saß.
Anders blieb ein paar Minuten zwischen zwei Birken stehen und
beobachtete Martin bei der Arbeit: Sein grauer Haarschopf, der normalerweise
nach hinten gekämmt war, fiel ihm widerspenstig in die Stirn. Martin nahm
Fische aus. Er hatte sein Netz eingeholt. Sein altes Holzboot lag halb aus dem
Wasser gezogen auf dem Geröll am Ufer. Die kaum spürbaren Wellen vom See
glucksten leise gegen das Boot. Auf beiden Seiten standen die Ruder hervor.
Teile des Netzes hingen aufgerollt darüber.
Anders wartete, dass Martin seinen Blick bemerken, aufsehen
und sich umdrehen würde. Er wusste, dass es geschehen würde – so, als wenn
er auf einem Baumstumpf saß und grasende Rehe am Waldrand beobachtete. Oder
wenn er vom Fenster seines Zimmers Bette Line Spenning beobachtete, die sich
nackt im Garten sonnte. Die Rehe hoben den Kopf und starrten zurück, genau wie
Bette Line Spenning es tat, wenn er zu lange hinübersah. Dann hob sie den
Kopf, nahm die Sonnenbrille ab und schaute sich um.
Die leichte Brise vom See fuhr durch Martins graues Haar.
Nachdem er einen Fisch in einen Eimer geworfen hatte, streckte er den Rücken
– und sah herüber zu den zwei Birken, wo Anders stand. Da setzte Anders sich
in Bewegung. Als er sich auf das Dollbord lehnte, war Martin schon wieder auf
seine Arbeit konzentriert. Seine kräftigen, sonnengebräunten, fast schwarzen
Hände waren mit Blut und Fischschuppen verschmutzt. Über die Hände und an
den Armen hinauf zogen sich blaue Adern und hautfarbene Sehnen. Anders
verfolgte die Messerschneide, die den Bauch des Felchens aufschlitzte. Sie
teilte die Fischhaut wie Butter. Keiner konnte ein Messer oder eine Sense
führen wie Martin, keiner, vielleicht mal abgesehen von Opa. Anders erhob sich
und schaute in den Eimer mit Fischen. Die schwarzen Rücken der Felchen
verflochten sich über dem krummen Rücken eines Hechts. Er war mittelgroß,
etwas mehr als einen halben Meter lang. Anders griff nach dem Fischhaken, der
auf der Ruderbank im Boot lag, steckte ihn in den Eimer und hakte ihn unter die
Kiemen des Hechts. Er hob ihn hoch. Der Hecht baumelte schwer am Fischhaken.
»Wirf’n raus«, sagte Martin knapp. Wenn er sprach, hing
seine Kippe
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