Schwarzes Prisma
Augen, die Kips Aufmerksamkeit erregten. Eingebettet in das Braun seiner Iris lag je ein scharf abgegrenzter Ring von Königsrot, der die Iris in zwei gleich breite Ringe teilte. Scharlachrote Streifen durchstachen wie Sonnenstrahlen den Rest der braunen Iris. Kip stellte den Stuhl wieder so hin, wie er zuvor gestanden hatte, schaute den Mann an und bekam nichts von ihm, keine Andeutung, was er erwartete.
Kip entfernte sich von dem Stuhl. Der Mann feuerte mit den Augen flüssigen Hass auf ihn ab. »Tut mir leid«, murmelte Kip defensiv.
»Dunkle sprechen nicht! Ignoranter tyreanischer Abschaum.«
»Ach, küss mir doch meine fetten Arschbacken«, sagte Kip. Ups.
Er presste die Augen zusammen, um sich zu verfluchen, und sah deshalb den Schlag nicht kommen. Die Faust traf ihn am Kinn, und im nächsten Moment lag er auf dem Boden und sabberte Blut.
Es dauerte lange, bis Kip wütend wurde. Normalerweise. Aber er sprang beinahe so schnell wieder auf, wie er gefallen war, und der Zorn war da, überall. Alle, die er kannte, waren tot. Alles, was ihm etwas bedeutete, war verloren. Es kümmerte ihn nicht, ob der Wandler ihn in Stücke riss. Er konnte Schmerz ertragen.
Aber als er aufsprang, sah er das Licht in den Augen des Wandlers. Tu es!, sagten die Augen des Mannes. Liefere mir den Vorwand. Ich werde dich aus der Chromeria prügeln, bevor du weißt, wie dir geschieht.
Und so fand Kips Zorn einen vertrauteren Kanal, und er hatte sich wieder unter Kontrolle. Du willst dieses Spiel spielen? Mit mir? Du Arschloch. Er hörte Schritte im Flur. »Gut«, sagte Kip. »Dann haben wir etwas, worauf wir aufbauen können. Ein wenig unbeholfen für einen Kuss, aber ich verstehe Euren Eifer. Ich bin mir sicher, mit Eurem hässlichen Gesicht habt Ihr nicht viel Übung. Aber ich sagte, küsst meine Arschbacken. Arschbacken. Arschbacken, Backen.« Er gestikulierte. »Das ist ein Unterschied. Versucht es noch einmal, diesmal mit Gefühl.«
Auf dem Gesicht des Wandlers wurde Ungläubigkeit von Zorn verdrängt. Er trat vor und grub – gerade als die Tür geöffnet wurde – die Faust in Kips Magen. Das Öffnen der Tür lenkte den Wandler ab, und er legte nicht sein volles Gewicht in den Hieb, aber Kip krümmte sich zusammen, als sei es der härteste Schlag, den er jemals bekommen hatte. Er fiel zu Boden, hustete Blut und würgte.
»Magister Galden, was in Orholams Namen geht hier vor?«
Der Wandler, der Kip geschlagen hatte, sagte: »Ich … ich … er hat mir getrotzt!«
»Also habt Ihr ihn geschlagen? Wie es die Umnachteten tun? Hinaus mit Euch. Sofort! Ich werde mich später um Euch kümmern.«
Magister Galden drehte sich um und trat vor Kip hin. »Das werde ich nicht vergessen, und ich werde dich eines Tages kriegen, wenn niemand …«
»So wahr Orholam mir helfe, wenn Ihr in meiner Gegenwart einem Schüler wegen Eures eigenen Fehlverhaltens droht, Jens Galden, werde ich Euch Eurer Farben entkleiden und noch in dieser Stunde von Kleinjasper verjagen. Stellt mich auf die Probe. Bitte.«
Magister Galden wirkte absolut erschüttert. Als stürze alles zusammen, was ihm im Leben etwas bedeutete.
Dass sich Peinlichkeit und Schmerz so leicht in Zorn verwandeln ließen.
Manchmal machte Kip sich selbst Angst. Magister Jens Galden stand zwischen ihm und dem Mann, der durch die Tür getreten war. Kip konnte den Mann nicht sehen, und dieser Mann konnte Kip nicht sehen. Er brauchte Jens Galden nur ein breites, triumphierendes Lächeln zuzuwerfen und seinen Magen ungeschützt lassen. Der Magister würde die Kontrolle verlieren – Kip wusste alles über Kontrollverlust – und ihn treten. Kip würde seinen Magen ungeschützt lassen und den Tritt herausfordern. Galden würde ihn treten und alles verlieren.
Und wofür, Kip? Dafür, dass er einen Wutanfall hatte und ein Arschloch war? Kip zögerte. Der Mann hatte ihn zornig gemacht, aber das war zu viel.
Doch wenn Kip nicht lächelte, würde er einen Feind haben. Einen Feind, den er in eben diesem Augenblick vernichten konnte.
Wo immer dieser Gedanke hinführte, er bekam nicht die Zeit, um ihm zu folgen. Der Augenblick verstrich. Jens Galden knurrte wütend und rauschte aus dem Raum. Kip blieb auf dem Boden liegen. Er blutete und hatte Schmerzen. Er hatte getan, was richtig war; vielleicht hätte er tun sollen, was klug war.
Er rappelte sich hoch. Der Mann, der ihn gerettet hatte, streckte soeben den Kopf zur Tür hinaus, durch die Magister Galden verschwunden war. Er sagte:
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