Schwarzes Prisma
worden war. »Ich meine mich daran zu erinnern, dass du es ein- oder zweimal versucht hast.«
Der Quartiermeister grinste, und Livs panische Angst verebbte, als sie begriff, dass die beiden gute Freunde waren.
»Ich weiß, du bist glücklich zu sehen, dass ich noch lebe«, sagte Galan. »Also tu mir einfach einen Gefallen und gib dem Mädchen die Lappen.«
»Gelb?«, fragte Zid. Er warf die Schwerter auf die Theke und ignorierte den jungen Soldat, der erfolglos versuchte, sie alle zu packen, und sich dabei um ein Haar selbst aufspießte.
»Ja«, sagte Liv.
Er schnappte sich eine Liste. »Name?«
»Liv.«
Er überflog die Liste. »Keine Livs, tut mir leid. Es gibt in der ganzen Armee keine Gelbwandlerin namens Liv.«
Livs Mund wurde trocken.
»Du da und du«, sagte Zid und zeigte auf einige Soldaten, die verärgert in der Schlange warteten. »Verhaftet diese Frau. Wir werden eine Betrügerin melden müssen …«
»Oh, um Orholams willen, Zid, was denkst du, was sie ist, eine Spionin? Sie ist wahrscheinlich kaum sechzehn! Was für ein idiotischer Narr würde ein Baby ausschicken, um uns auszuspionieren?«
Bei dem Wort »spionieren« wurden Livs Knie zu Wasser.
»Vielleicht ein sehr schlauer Narr, der glaubte, wir würden sie aus eben diesem Grund nicht beachten«, erwiderte Zid, dem der Argwohn förmlich aus den Poren sickerte. »Sie sagen, Gavin Guile hätte es getan. Sie sagen, irgendein Junge drüben im Zelt der Chirurgen sei sein eigener Bastard. Würde er ein Kind schicken? Diese gerissenen Bastarde, die würden es tun.« Er deutete mit dem Kopf vage in Richtung Garriston.
»Ich bin siebzehn«, sagte sie stattdessen. Was? Kip war im Zelt der Chirurgen? War er krank? Verletzt? Sie war zu verwirrt und verängstigt, um darüber zu frohlocken, dass sie soeben ihre erste Spur zu Kip entdeckt hatte.
»Komm schon, Zid, diese Listen sind kaum gut genug, um dir damit den Arsch abzuwischen, sobald die Kämpfe anfangen, und das weißt du. Es ist so, als hättest du das noch nie zuvor getan …«
»Kapiert«, sagte Zid. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. Dann warf er einige gelbe Ärmel über den Tisch. »Das ist für den ›Dummkopf‹, Torfnase. Jetzt sind wir quitt.«
»Quitt, oh, wir sind nicht einmal annähernd quitt«, entgegnete Galan, aber er lächelte. »Mich ruft die Pflicht, Liv, und wenn Ihr es jemals könnt, degradiert Ihr diesen Burschen um ein oder zwei Ränge, ja?«
»Mit Freuden«, sagte Liv und lächelte trotz des elenden Gefühls in ihrem Magen, als sei sie froh darüber, in den Scherz einbezogen zu werden.
Binnen Minuten war sie allein, und nachdem sie zum ersten Mal ihre Ärmel übergestreift hatte, gehörte sie dazu. Jetzt brauchte sie nur noch Kip und Karris zu retten. Und wirklich, wie schwer konnte das sein?
Nicht zum ersten Mal während der letzten Tage wollte Liv fluchen, mit Dingen um sich werfen, jammern, sich beklagen und – vielleicht nur ein klein wenig – weinen. Stattdessen holte sie tief Luft und ging weiter in das Lager hinein.
75
Als Gavin die Augen aufschlug, war es draußen hell. An seinem Bett saß jemand. Er sah die Frau an. Seine Mutter.
»Oh, Orholam sei gedankt. Ich dachte, ich wäre wach«, sagte Gavin.
Felia Guile lachte, und er wusste, dass er nicht träumte. Das Lachen seiner Mutter klang irgendwie freier, als es das seit Jahren getan hatte. »Es ist fast Mittag, Sohn. Ich weiß, dass ich dir kaum einen Vortrag über Pflicht halten muss, aber du solltest wirklich aufstehen.«
»Mittag?« Gavin fuhr hoch. Das war ein Fehler. Sein ganzer Körper schmerzte. Sein Kopf schmerzte. Seine Augen schmerzten. Er erstarrte, während die Hammerschläge gegen seinen Hinterkopf langsam nachließen. Im Allgemeinen wurde er nicht lichtkrank – aber andererseits hatte er auch noch nie so viel Magie benutzt wie am vergangenen Tag. Nicht mehr seit den Getrennten Felsen, und damals war er jung gewesen. »Es ist fast Mittag am Sonnentag?«, fragte er.
»Wir hielten es für das Beste, dir die Begrüßung der Sonne und die Morgendämmerungsprozession zu ersparen. Es sollte ja ohnehin in diesem Jahr ein zwangloserer Sonnentag werden. Orholam wird uns verzeihen.«
»Mutter, was machst du hier?«
»Es ist Zeit … Gavin.«
»Zeit?«
»Für meine Befreiung.«
Eine Woge kalten Grauens durchlief Gavin vom Kopf bis zu den Zehen. Nein. Nicht seine Mutter. Sie hatte gesagt, irgendwann in den nächsten fünf Jahren. Sie hatte ihm Zeit gegeben, sich vorzubereiten,
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