Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Gleichgewicht, während Parnas’ Oberkörper unter seinem Gewicht hin und her rollte. Der Dornenlord bot ihr eine Hand, um ihr heraufzuhelfen.
Bitharn stieß die Hand beiseite. Stattdessen stützte sie sich an der Mauer ab und gab sich alle Mühe, die beunruhigende Weichheit des Leichnams unter ihren Füßen auszublenden.
Es war nicht der erste Leichnam, auf den sie getreten war. Sie klammerte sich an diesen Gedanken und versuchte, irgendeine Art von Trost darin zu finden. Aber die anderen waren Fremde auf Schlachtfeldern gewesen und nicht durch ihre Schuld gestorben. Nicht auf diese Art. Diese … diese … Ihr fehlte ein passendes Wort dafür, etwas, das auch nur ansatzweise die Ungeheuerlichkeit des Ganzen einfing, und landete schließlich bei der gleichermaßen unerwünschten Antwort: Obszönität.
Ihr Werk. Der Preis der Spinne. Sie schloss die Augen, um Tränen des Zorns zurückzuhalten.
Malentir sang. Seine Worte entsprangen keiner menschlichen Sprache; sie flackerten am Rand des Verstehens und beschworen in den Winkeln des Geistes Phantome herauf. Das Gebet des Dornenlords war beinahe ein Echo der Gebete, die sie so gut kannte, aber wo in Celestias Anrufungen Stolz und Ernst mitschwangen, tönten die an Kliasta gerichteten weich und sadistisch. Die Liebkosungen des Folterknechts, der Kuss des heißen Eisens – das waren die Visionen, die sein Gebet erweckte, und begleitet waren sie von einer schnurrenden Wonne, bei der sich ihr der Magen umdrehte.
Tuch strich über ihre Schultern. Schatten blendeten den hellen Schein des Turms aus. Abermals umgab sie ein Geruch nach Bernstein und Mandel, zusammen mit dem Umhang des Dornenlords; Bitharn verkrampfte sich und hielt die Augen geschlossen. Sie war bisher nur einem einzigen Mann so nah gewesen.
Bitte, Strahlende, betete Bitharn, während Malentir seine Anrufung beendete und die Dunkelheit herabfiel, lass mich das Richtige tun.
2
In den Kerkern von Ang’arta verlor die Zeit ihre Bedeutung.
Weder Tag noch Nacht berührten diese grimmigen, runden Hallen, die tief in den Granit unter der Festung hineingegraben worden waren. Es gab nichts außer Fackelschein, dem rußigen Schimmer von den Feuern der Folterknechte und den Schreien aus den Foltergruben. Kelland wusste nicht zu sagen, wie lange er in seiner Zelle gelegen und auf dieses endlose Wimmern gelauscht hatte. Es mochten Monate gewesen sein; es mochten Jahre gewesen sein. Er konnte es nicht sagen. Schließlich hatte er nichts bis auf den Feuerschein und die Schreie.
Wurm hatte sich die Trommelfelle durchstoßen, um dieses Kreischen nicht mehr hören zu müssen. Es hatte ihn eine Ewigkeit gekostet, den Fingerknochen eines toten Gefangenen spitz zuzuschleifen; er hatte ihn zwischen die Zähne geklemmt und ihn über den Stein seiner Zelle gerieben. Dann hatte er ihn in eine Ritze geschoben und sein Ohr hineingestoßen, erst das eine, dann das andere, und sich dadurch mit Schmerz Stille erkauft.
Nicht lange danach war er gestorben. Kelland hatte seinen wahren Namen nie erfahren oder weshalb er eingekerkert war. Er war nur ein bleiches, verstümmeltes Gesicht in der Zelle gegenüber gewesen. Die Folterknechte von Ang’arta hatten ihm Arme und Beine ausgerissen, Augen und Zunge. Blind und stimmlos hatten sie ihn zurückgelassen, einen Wurm, der als Mann geboren worden war.
Die Soldaten waren gekommen, als der Körper zu stinken begann. Sie hatten Wurms Leichnam geholt und damit die Ghaole gefüttert oder die Grünhunde oder irgendeine andere Kreatur der Dornen, und ein neuer Gefangener kam in seine Zelle. Auch seinen Namen kannte Kelland nicht.
»Schweig!«, hatte jemand in den Stein neben den Zelleneingang gekratzt. Die Warnung war wohlbegründet. In den Zellen Ang’artas wurde nicht geredet. Jeder Versuch zu sprechen oder eine Botschaft an die Mauern zu klopfen, um den Mann im nächsten Loch zu erreichen, hatte rasch brutale Prügel zur Folge. Nicht für denjenigen, der gesprochen hatte – diese Strafe hätte Kelland ohne Klage hingenommen –, sondern für denjenigen, den er zu erreichen versucht hatte. Daher schwieg er meistens. Es gab einige, die sich nicht darum scherten oder froh darüber waren, anderen Leiden zu bescheren, um ihr eigenes Elend zu lindern, aber die meisten von diesen wurden bald aus den Einzelzellen herausgeholt. Sie kamen hinunter in die Foltergruben, wo sie die beiläufigen Misshandlungen der Soldaten erlitten und mit Klauen und Zähnen gegen ihre Gefährten um Brotkrumen und
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