Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi
Berenike. Nur weg hier! Jonas und Kain stützten
sie links und rechts. Als wären sie ihre Brüder.
Jemand hatte ihr eine alte Uniformjacke umgehängt. Sie traten
durch eine niedrige Holztür ins Freie. Die Hütte ähnelte – ihr schnürte es
die Kehle zu. »Ihr müsst nach Madame Montego sehen!«
»Wie bitte?«
»Madame Montego, eine alte, ähm, Frau, ein sogenanntes
Medium«, Kains Mundwinkel verzogen sich ein wenig. »Sie, ähm, war sehr beliebt
in gewissen Kreisen. Wir haben eine unbekannte Frauenleiche gefunden. Im
Wasserfall bei der Ruine.«
»Und Sie meinen …?«
Plötzlich gaben Berenikes Knie nach, jetzt, wo alles vorbei
war. Aber dann straffte sie ihren Rücken. Sie wusste noch nicht genau, woher
sie kam, diese Stärke. Doch sie ahnte, sie würde ihren Weg gehen, aus eigener
Kraft.
Bäume, wohin man auch sah. Dichter Wald. Ein Gewässer, felsig
begrenzt von allen Seiten. Eine Enge, die …
»Wo sind wir hier?«
»Toplitzsee«, murmelte Inspektor Kain. »Immer für ein
Geheimnis gut. Manche offenbart er, andere behält er für immer.«
In der Tat, ein ideales Versteck. Das Häuschen war von dicht
stehenden Bäumen umgeben; von keiner Richtung aus einsehbar. Ein Wegweiser
nannte die sagenumwobenen sieben Quellen. Der Tag war düster, Nebel kroch ihr
in die Nase, unter die Kleidung. Jetzt wären Schuhe recht gewesen.
»Ich muss mich setzen.« Sie strebte auf eine Bank zu.
»Ja, aber …« Jonas zeigte auf eine große spiralförmige
Feder, auf der diese montiert war.
»Schon gut. Ich sterbe nicht, also Schluss mit der Fürsorge.«
Sie setzte sich. Ob das schaukelnde Gefühl ihren Magen durcheinanderbrachte?
Aber nein, im Gegenteil.
Die Polizisten blieben vor ihr stehen. Jonas lächelte sie an,
ihr wurde ganz warm und weich. So mochte sich die berühmte Postmeisterstochter
Anna Plochl gefühlt haben, als sich Erzherzog Johann hier in sie
verliebte …
»Was ist mit Ragnhild und dem Kapitän der Jacht passiert?«
»Herr Simon konnte einen Hilferuf per Funk absetzen. Lahn ist
über Bord gegangen.«
Also doch!
»Seine Komplizen sind ohne ihn völlig eingeknickt. Wir
konnten sie hopsnehmen, nachdem Simon das Boot ans Ufer gesteuert hatte. Sie
haben uns sogar das Versteck hier verraten …«
»Hier, trink, Nike«, Jonas öffnete eine Thermoskanne. Der
wohlige Duft von Rosen und schwarzem Tee schien nicht hierherzupassen. »Susi
hat mir das Getränk extra für dich mitgegeben.«
»Ja, ja.« Ohne einen Schluck zu nehmen, stellte sie die
Thermoskanne neben sich ab.
»Aber es ist wichtig, dass du etwas trinkst.«
»Bitte, Jonas. Ich kann für mich sorgen.«
»Okay, okay.« Er wandte sich ab. Kühle streifte Berenikes
Arm.
»Hier, das könnte Rabensteins Tod gewesen sein«,
Inspektor Kain deutete auf eine Pflanze, die rund um die Hütte wucherte.
Bläuliche Blüten. Staudenhafte Größe.
»Das?« Jetzt fühlte sie sich doch etwas flau.
»Ich habe mich kundig gemacht, Fräulein Berenike, nachdem
Rabenstein vergiftet wurde. Sie haben einige nette Kräuterbücher. Ich habe mir
erlaubt, eines davon quasi zu entlehnen.«
»Sie waren das? ›Die Giftpflanzen der Alpen‹?«
Kain nickte. »Ich hielt
Sie eine Zeit lang für verdächtig, Fräulein Berenike, deshalb. Sie bekommen es
umgehend zurück. Eisenhut gilt als giftigste Pflanze Europas. In der Hütte
wurden getrocknete Pflanzen gefunden, wahrscheinlich das tödliche Kraut. Vor
allem seine Samenkörner wirken prima in einem Tee. Also, ›prima‹ ist jetzt
nicht das richtige Wort.«
»Nein.«
Ein Polizist in Uniform trat aus der Hütte und kam auf sie
zu. »Das wird euch gefallen.« Er hielt einen Stapel bunter Papiere hoch.
›Meisterliche Beratung‹, las Berenike. Ein Foto zeigte Lahn, in sanftem Licht
abgebildet. Das Blatt war in den Farben Grün, Weiß und Rot gehalten. »Er ist
der Guru vom Toplitzsee? Ich fasse es nicht.«
»Und«, der Polizist schluckte, »da ist noch etwas.« Er hielt
ihnen eine Dose entgegen. Berenike wollte nicht hinsehen. »Mit diesem Gift
dürfte Donner ermordet worden sein. Ein Schädlingsbekämpfungsmittel.«
Das Foto, dachte Berenike. Das Foto, auf dem ich tot bin.
Zyklon B, das Schreien, tote Frauen und Kinder und kein Entkommen. Nur sie
lebte. Lebte wozu?
Fade out – die Reise geht weiter
Das vielstimmige Lied des Samowars
Da stimmt der Samowar
sein Lied vielstimmig an. Erst wehklagt er mit der bebenden Stimme eines
herumziehenden
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