Schwarzwaldau
neuen Jahres gar keine Erwähnung gethan. Sie saßen beisammen, wie gewöhnlich; Emil, (auch wie gewöhnlich,) las ihnen vor, und zwar aus den kürzlich erschienenen ›Vermischten Schriften‹ so wie aus den ›Ghaselen und lyrischen Blättern‹ des Grafen August Platen-Hallermünde, woran Caroline wenig, Gustav durchaus keinen, Agnes mit ihrem halbmännlichen Naturell um so größeren Theil nahm. Gustav hatte sich bereits in sein Schicksal gefunden: wollte er dem armseligen Aufenthalte im väterlichen Haufe zu Thalwiese, wollte er den stündlichen Ermahnungen und Anklagen seines Vaters, wollte er den durch Mangel gebotenen Einschränkungen seiner Mutter daselbst entgehen und der Heimath magere Küche mit Schwarzwaldau's Wohlleben vertauschen, so mußte er auch wohl Emil's poetische Tyrannei in den Kauf nehmen und möglichst gute Miene dazu machen. Brauchte er doch nicht Rechenschaft abzulegen von seinem Verständniß des Dargebotenen; saß er doch nicht vor den unerbittlichen Examinatoren, durch deren vorwitzige Fragen er gestürzt worden. Hatte er doch zwei junge Damen vor sich, deren Eine ihn um so mehr beschäftigte und reizte, je kälter und unempfänglicher sie scheinbar blieb; deren Andere ihn fortwährend daran erinnerte, und die er nicht ansehen konnte, ohne sich selbst zu sagen, daß sie die einzige, unbezweifelt sehr heirathslustige Tochter eines in behaglichen Ruhestand zurückgezogenen reichen Kaufherrn sei. Wenn Gustav (und die häßlichen Examinatoren behaupteten es,) unwißend war, dumm war er doch nicht; weder dumm noch unerfahren in Liebes sachen ; womit wir, wie wir ausdrücklich wiederholen, die eigentliche Sache der Liebe nicht bezeichnet haben wollen. Daß Caroline nur mit ihm maulte, weil ihr keineswegs entging, wie Agnes ihm besser gefiel; daß es nur von seinem Benehmen gegen sie abhänge, sich ihren besten Willen zu gewinnen, – darüber war er im Reinen. Ob aber dieser beste Wille, auch in seiner wärmsten Entfaltung, hinreichen würde, Papa Reichenborn für einen Schwiegersohn zu gewinnen, dessen leibliche Eltern auf Thalwiese verkümmernd, der über sie hereinbrechenden Subhastation seit Jahren harrten, . . . das blieb eine andere Frage? Und Caroline als verstoßene Tochter, ohne ihres Vaters Geld? . . . »Da find' ich immer noch Andere!« – lautete die Schlußformel jeder Ueberlegung und Erwägung.
Gerade während Emil in Platens classischen Formbildungen schwelgte, seine eigene Schwächlichkeit an dessen kraftvollen, markigen Versen erstarken fühlte, – dem schwankenden Blättergewächs vergleichbar, welches sich um Marmorgruppen rankt und durch sie Festigkeit gewinnt! – gerade da wog sein Liebling Carolinens Erbtheil gegen Agnesens unnahbare, stolze Schönheit ab. Ein ermunternder Blick der Letzteren hätte genügt, die Schale zu ihrem Vortheile sinken zu lassen. Aber dieser Blick fiel nimmer – und Gustav gelangte zu keinem Entschluße.
Der Tafeldecker brachte den Thee und nachdem er, wie üblich, die kleinen Tischchen geordnet, blieb er wider seine Gewohnheit noch stehen, als ob er eines Auftrages harre, oder etwas anzubringen habe? Agnes, die das lauernde Aufmerken der Dienstboten ein für allemal nicht liebte, richtete fragend ihr Auge auf ihn; Emil, der im Lesen inne gehalten, bis das durch den Eintretenden verursachte Geräusch vorüber wäre, fragte barsch: »was giebt's?«
»Unsere Leute im Schlosse haben mich gebeten, – ich soll anfragen, . . ob ich ihnen vielleicht einen Punsch machen darf, wie vergangenes Jahr? Weil doch heute Sylvester ist.«
»Von Herzen gern,« rief Agnes, »und ich wünsche Euch recht viel Vergnügen, wenn Ihr nur nicht verlangen wollt, daß ich von Eurem Gebräu koste.«
»Und ich willige ein,« sprach Emil, »nur unter der Bedingung, daß für uns gleichfalls eine Bowle bereitet werde.«
»Das ließ ein guter Geist Dich sagen,« seufzte Gustav. –
Seit ihrer Bekanntschaft hatte Emil seinen jungen Freund noch nicht unter dem Einfluße geistigen Getränkes erblickt. Im Walde gab es nichts zu schlürfen außer Quellwasser; und an der Tafel zu Schwarzwaldau ging es her, wie an jeder Tafel, wo der Hausherr kein Weintrinker ist und nichts auf einen gut bestellten Keller hält. Es wurden einige Sorten leidlicher Tischweine hingestellt, von denen Gustav diejenige nahm, die ihm gerade zunächst stand, und dann freilich eine Flasche leerte, – (nach einer zweiten wagte er, der Damen wegen, nicht zu greifen;) – was ihm und seiner
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