Schwarzwaldau
Herr Reichenborn schnitt dem Flüsternden und den Aeugelnden sein furchtbarstes Familiengesicht. Da war auf einigermassen freundliches Entgegenkommen nicht zu hoffen. Mama gab sogleich jeden Versuch auf und machte sich noch einmal an den Kirschkuchen. Die Tochter kämpfte wohl, oder in ihrer Brust kämpften Erinnerung an schwerverletzende, nicht vergessene Schmach und Kränkung mit neuerwachender Zärtlichkeit für den (wie es schien,) reuig zurückkehrenden Bewerber. Es hätte in diesem Kampfe möglicherweise beleidigter, jungfräulicher Stolz über nachgiebige Schwäche den Sieg davon tragen können, wäre Vater Reichenborn minder bärbeißig, – wäre dem biederen Philister in Gustav nicht schon der zweite Windbeutel während dieses Gartenconzertes erschienen, was ihm zu viel wurde. Des alten Herrn höchst unartiges und abstoßendes Benehmen mußte durch Artigkeit von ihrer Seite ausgeglichen werden; darüber dachten Mutter und Tochter gleich; wenn aus keinem anderen Grunde, doch schon deßhalb, damit der junge Herr nicht wähne, man zürne ihm, weil er von Carolinen abgesprungen? Das hätte noch gefehlt! Nein, er soll sehen, daß wir zu leben wissen! (So dachte die Mutter.) Und er soll fühlen, daß er mir längst gleichgiltig genug ward, um mit ihm verkehren zu können, wie mit dem Baron, oder irgend einem andern Gleichgiltigen. (So dachte die Tochter.) Und Beider Gedanken wurden zu Einem, welcher sich in die Form kleidete: »Der Alte will ihn nicht bei sich sehen, – so sehen wir ihn bei uns! «
Der Gedanke an und für sich war gewiß ganz gut; das heißt: er war schlecht genug, um für Gustav's Absichten gut zu sein. Nur stieß er auf Hindernisse, in so fern festgesetzt war, daß morgen die Abreise von Dresden erfolgen müsse. Dergleichen Aussprüche des Vaters galten bei Reichenborns für unerschütterlich. Deßhalb gab Caroline für's Erste auf Gustav's geflüsterte Frage gar keine Antwort; was dieser, seine Schuld gegen sie erwägend, zwar sehr begreiflich, aber darum noch nicht geeignet fand, sich dadurch abschrecken zu lassen. Er hatte Fortschritte gemacht, seitdem er sich von Agnesens Grabe getrennt. Er hatte nicht umsonst die hohe Schule der ›großen Welt‹ besucht; nicht umsonst theures Lehrgeld bezahlt; nicht fruchtlos mit den berufensten Lehrern im Felde gewissenloser Schwelgerei vertraulichsten Umgang gepflogen. In zwei Jahren kann ein junger Mensch etwas vor sich bringen! Kann sich die vornehme Gleichgiltigkeit wohl aneignen, die über nichts mehr zu erstaunen, vor nichts mehr zu erschrecken scheint; die feine Lebensart heißt, im Grunde aber nichts ist, als raffinirter, schamloser Egoismus.
Daß die Weiber nicht unbeugsam bleiben würden, darüber waltete bei Herrn von Thalwiese kein Zweifel ob. Der alte Kaufmann bot einige Schwierigkeiten dar. Diesen zu gewinnen, ihn wenigstens unschädlich zu machen, blieb die nächste Aufgabe. Ihm also wendeten sich Gustav's Aufmerksamkeiten zu; ihn suchte er in passende Gespräche zu ziehen. Er that, als wäre Caroline vom Caffeetische verschwunden. Er warf sich in's Capitel der Staatspapiere, sprach vom Wechsel der Course, vom Steigen und Fallen, von politischen Combinationen und entwickelte dabei seine, auf kostbare Erfahrungen gestützten Ansichten; denn er hatte die ihm von Emil überlassenen Summen ja längst vergeudet, oder in thörichten Börsenspeculationen verloren. Diesen Umstand anzudeuten hütete er sich weislich. Er geberdete sich wie Einer, dem daran liegt, zu bewahren, was er besitzt, die Masse seines Vermögens zu vergrößern und der die Rathschläge einer Autorität hören möchte. Dadurch gewann er sich Reichenborn's Achtung in einer Viertelstunde. Carolinen entging das nicht; sie benützte diese Wendung und mit ihres Vaters Eigenheiten vertraut, brachte sie ihn sehr leicht dahin, daß er ihr die Mühe abnahm, die Reisepläne dieses Sommers vor Demjenigen zu enthüllen, der davon unterrichtet sein mußte, sollte und wollte ein gewaltsam abgebrochenes Verhältniß wieder angeknüpft werden. Die Reichenborn'schen beabsichtigten, die zweite Hälfte des Juli und mindestens die erste des August in Teplitz zuzubringen, wohin Mutter und Vater durch ihren Arzt gesendet worden. Den Juni hatten sie in Dresden verlebt und da dieser Monat fast abgelaufen, würden sie vielleicht, ohne erst wieder heimzukehren, in der schönen Elbstadt noch einige Wochen ausgedauert haben, wäre dem alten Herrn nicht die Weisung zugegangen, daß ein Prager Haus,
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