Schweig um dein Leben
damit über ihr schweißglänzendes Gesicht. »Nur zu«, sagte sie und lächelte mich jetzt ebenfalls an. »Aber ich warne dich. Mein Cousin Larry ist der Kapitän des Tennisteams, also mach dich schon mal auf eine verheerende Niederlage gefasst. Die Leute, mit denen er sonst trainiert, sind über den Sommer weggefahren oder haben Ferienjobs, deswegen schleppt er mich jeden Morgen hierher, damit er mir die Bälle um die Ohren hauen kann. Ich hab jedes Mal Angst, dabei enthauptet zu werden. Wenn du also Todessehnsucht hast, bitte schön, nimm meinen Schläger und lass dich niedermetzeln.«
»Ich kann es ja trotzdem mal versuchen.« Ich versuchte, so lässig wie möglich zu klingen, obwohl ich sie am liebsten umarmt hätte. Es war Wochen her, seit ich das letzte Mal einen Tennisschläger in der Hand gehalten hatte, und jeder Muskel in meinem Körper lechzte nach Bewegung.
Als ich auf dem Platz stand, spielte Larry mir ein paar leichte Bälle zu, um zu sehen, ob ich in der Lage war, sie zu parieren. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis er begriff, dass ich nicht die Sonntagsspielerin war, für die er mich gehalten hatte.
»Hey, du spielst nicht schlecht für ein Mädchen!«, rief er überrascht. »Hast du Lust, nach Punkten zu spielen? Ich verspreche auch, dich nicht zu hart ranzunehmen.«
Nicht schlecht für ein Mädchen! Was bildete der Typ sich ein? Steve hätte noch nicht einmal im Traum daran gedacht, so etwas zu sagen.
»Klar«, antwortete ich. »Warum nicht?«
Ich legte all meine Kraft in meinen Aufschlag und beobachtete zufrieden, wie der Ball an ihm vorbeizischte. Er wirkte so erstaunt, dass ich mein Lachen kaum zurückhalten konnte.
»Fünfzehn-Null!«, rief ich. »Bereit für den nächsten?«
Larry trat ein paar Schritte zurück, straffte die Schultern und nickte mir konzentriert zu. Er hatte offensichtlich kapiert, dass er mich falsch eingeschätzt hatte, und von da an legte er jede Zurückhaltung ab. Sein Spiel war schnell und kraftvoll und er hatte eine mörderische Rückhand. Nach drei fast ausgeglichenen Sätzen (ich verlor den ersten und den dritten, gewann aber den zweiten) raste mein Puls und meine Beine zitterten vor Anstrengung, aber seit ich Norwood verlassen hatte, hatte ich mich nicht mehr so lebendig gefühlt.
»Du bist gut!«, sagte Kim bewundernd, als ich mich keuchend auf die Bank fallen ließ und genauso schweißgebadet war wie sie noch vor einer Stunde. »Ich bin Kim Stanfield und das ist mein Cousin Larry Bushnell. Du kannst nicht von hier sein, sonst würden wir dich kennen.«
»Ich bin Val Weber«, stellte ich mich vor und erfand spontan einen Spitznamen für mich. »Wir sind gerade erst von Durham, North Carolina, hierhergezogen.« Diese Lüge hatte Rita Green für uns erfunden und einen Bundesstaat ausgewählt, der an Virginia grenzte, damit unser Akzent glaubwürdig klang.
»Wirst du hier zur Schule gehen?«, fragte mich Larry, der vergeblich zu verbergen versuchte, dass er genauso schwer keuchte wie ich.
»Jedenfalls für das erste Schulhalbjahr«, antwortete ich. »Was danach ist, weiß ich noch nicht. Ist die Secondary School eine Middle School oder eine Highschool?«
»Sowohl als auch«, sagte Kim. »Grove City hat nur zwei Schularten, die Grundschule und die Secondary School. Es gibt einfach nicht genügend Kinder hier, dass sich eine Middle School lohnen würde, also wurden die Klassenstufen sechs bis acht und neun bis zwölf zusammengelegt.«
»Es wird dir hier gefallen«, sagte Larry. »Grove City hat nämlich das beste Highschool-Tennisteam im ganzen Bundesstaat. Für ein Footballteam fehlt es uns an genügend kräftigen Typen, also spielt praktisch jeder hier Tennis.«
Wir saßen noch eine Weile auf der Bank und unterhielten uns, bis mir plötzlich auffiel, wie hoch die Sonne mittlerweile stand. Obwohl es erst früher Vormittag war, waren die Temperaturen bereits ordentlich gestiegen, und man konnte jetzt schon sagen, dass es ein mörderisch heißer Tag werden würde.
»Tja, ich muss dann mal wieder«, sagte ich entschuldigend. »Meine Eltern haben noch geschlafen, als ich gegangen bin. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.«
»Ich muss auch los«, seufzte Kim und zog eine Grimasse. »Meine Stiefschwester bespaßen, die gerade zu Besuch da ist.«
»Wie sieht’s aus?«, fragte Larry und stupste mich mit seinem Tennisschläger an. »Morgen um die gleiche Zeit hier? Später ist es einfach zu heiß, um zu trainieren, außerdem jobbe ich in den Ferien im
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