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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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waren jedoch keine normalen Tennisbälle, sondern Feuerkugeln, und als ich versuchte, eine von ihnen zurückzuspielen, sauste sie züngelnd durch meinen Schläger hindurch. Die verkohlten Saiten hingen wie schwarze Spaghetti vom Rahmen, und der Griff versengte meine Hand wie eine gusseiserne Bratpfanne, die zu lange auf dem Herd gestanden hatte. Die Hitze war so groß, dass ich wie Eiscreme zu schmelzen begann. An meinen Beinen lief Flüssigkeit hinunter, tropfte von meinen Knöcheln und bildete auf dem roten Sand des Tennisplatzes kleine Pfützen. Plötzlich ertönte lauter Jubel, und als ich aufblickte, sah ich, dass die komplette Tribüne mit Schülern der Springside Academy besetzt war. Sherry kreischte, winkte und rief Anfeuerungen, und Jodi brüllte mir irgendwelche Anweisungen zu, die ich nicht verstand.
    Steve war auch da, jubelte mit den anderen und sah unfassbar gut aus in seinem rot-weiß gestreiften Hemd, das ich ihm zum Valentinstag geschenkt hatte. Die Anfeuerungsrufe auf den Zuschauerrängen weckten meinen Kampfgeist. Ich spielte wie eine Besessene und die Hitze der brennenden Tennisbälle wurde durch meine Anstrengungen noch vervielfacht. Die Aufregung der Zuschauer stieg allmählich ins Unermessliche, aber ich konnte immer noch nicht hören, was sie mir zuriefen. Bis ich auf einmal einen Namen aus ihren Rufen heraushörte und entsetzt feststellte, dass es nicht meiner war. Es war Bobby, den meine Freunde anfeuerten – ihren Mitschüler! Ich dagegen war für sie nichts weiter als ein Gast aus Florida, der im Begriff war, ihren Tennisplatz zu zerstören, indem er alles zum Schmelzen brachte.
    Als ich aus dem Traum erwachte, war mir speiübel und ich zitterte am ganzen Körper, als wäre mir das alles gerade wirklich widerfahren. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich den Albtraum abgeschüttelt hatte und wieder wusste, wo ich war und vor allem wer ich war. Nachdem ich noch ein paarmal tief ein- und ausgeatmet hatte, öffnete ich die Augen. Die Morgendämmerung kroch durch das Fenster und mein erster Tag als Valerie Weber begann. Ich lag da und sah zu, wie es im Zimmer immer heller wurde und ich die Wasserflecken an der Decke und die Risse in der Wand gegenüber meinem Bett erkennen konnte. Meine Schultern schmerzten von der durchgelegenen Matratze und meine schweißnasse Haut fühlte sich unangenehm klamm an in der Morgenluft. Mir war klar, dass ich es gar nicht erst zu versuchen brauchte, noch einmal einzuschlafen, also stand ich auf, zog mich an und stellte mich dem Tag.
    Leise schlich ich an den geöffneten Türen der beiden anderen Schlafzimmer vorbei den Flur entlang. Irgendwie hing ich der verrückten Hoffnung an, dass bei Tag alles in einem freundlicheren Licht erscheinen würde, aber als ich das Wohnzimmer betrat, wurde ich sofort eines Besseren belehrt. Gestern Nacht hatte man im Schein der nackt von der Decke baumelnden Glühbirne wenigstens nicht die Spinnweben in den Ecken sehen können oder die speckig glänzenden Sofakissen und die Mäuseköttel auf den abgewetzten Bodendielen. Aber das durch die schlierigen Fenster dringende Sonnenlicht kannte kein Erbarmen und brachte die ganze widerwärtige Hässlichkeit unseres neuen Zuhauses zum Vorschein.
    Home sweet home, dachte ich bitter und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Ich verzichtete darauf, die Besichtigung fortzusetzen, und trat stattdessen auf die Veranda, wo ich überrascht innehielt und mich staunend umsah. Die Luft war erfüllt vom Duft blühender Bäume und reifer Früchte, und die Büsche entlang der Einfahrt, die in der Nacht noch so unheimlich gewirkt hatten, waren voller leuchtender orangefarbener Blüten. Ein paar Meter weiter hoppelte ein Hase durch den Garten, Eichhörnchen jagten Baumstämme hoch und runter, und in den Zweigen über mir zwitscherten Vögel um die Wette. Selbst das dichte Buschwerk, das den Blick zur Straße versperrte, wirkte mit seiner dschungelartigen Anmutung wie aus einem Bericht in einem Reisemagazin.
    Da ich nichts anderes zu tun hatte, bis die anderen aufwachten, ging ich die Treppe hinunter und spazierte bis zum Ende der Einfahrt. Dort angekommen, sah ich keinen Grund, nicht noch weiterzugehen, und nachdem ich kurz überlegt hatte, bog ich nach links und ging die Lemon Lane in die Richtung entlang, aus der wir am Abend zuvor gekommen waren.
    Unterwegs dachte ich über die Gründe für unsere abgelegene Unterkunft nach. Jetzt verstand ich, warum es uns so schwergefallen war, das Haus zu

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