Schweig wenn du sprichst
Straße liegt der Friedhof. Da steige ich aus.«
Victor nahm sein Köfferchen vom Rücksitz und stieg aus. »Ich rufe dich an.«
An dem kleinen Krematorium ließ er den Koffer stehen und ging die letzten hundertfünfzig Meter bis zu Alberts Grab. Müde sackte er auf die kleine Holzbank dem Grabstein gegenüber.
»Da bin ich also. Ich komme, um mir anzuhören, was du zu sagen hast.« Er strich mit den Händen durch sein Gesicht und seine Haare, zündete eine Zigarette an, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nach längerer Zeit sagt er laut:
»Nein, wirklich? Wo wir gerade von Überraschungen sprechen, Vater!«
Er blies den Rauch nach oben, so weit er konnte. Der Friedhof lag völlig verlassen da und glänzte in ockerfarbenem Licht. Er stand auf und ging an den Gräbern entlang. Hier und da hielt er an, bei einem Freund, den er zu früh verloren hatte, einem Verwandten, den Eltern eines ehemaligen Kollegen. »Wie wart ihr denn in Wirklichkeit?«
Er spazierte langsam zu Alberts Grab zurück und entfernte Blätter von der Grabplatte aus Bronze. Er ging vor dem Grab auf und ab, setzte sich, stand wieder auf und las den Text auf der Grabplatte: WIR SIND UNSERE EIGENE WAHRHEIT .
»Komm mit, Vater«, sagte er. »Komm … das letzte Stück können wir doch wohl zusammen gehen?«
Er spazierte zum Ausgang des Friedhofs, nahm seinen Koffer und ging die vierhundert Meter zur Auffahrt des Hauses. Victor blieb vor dem elektronischen Spion stehen. Er zögerte. Dann schüttelte er wild den Kopf und überschritt die unsichtbare Grenze. »Oma, du kannst nicht alles absichern.«
Victor ging träge die Auffahrt entlang, den Blick auf die Haustür gerichtet. Auf halbem Wege merkte er, dass Martha noch nicht im Anmarsch war. Zum ersten Mal in seinem Leben drückte er auf die Türklingel.
Martha öffnete. »Du hättest mich verständigen sollen, Victor. Dann hätte ich etwas einkaufen können.«
»Einkäufe sind nicht wichtig.«
»Aber du hättest wenigstens anrufen können.«
»Ich bin hier. Darf ich hereinkommen?«
Martha ließ ihn ins Haus, schloss die Tür und folgte ihm in die Küche.
»Wann bist du gelandet?«
»Vor zwei Stunden.«
»Du hättest doch wohl anrufen können, bevor du abgereist bist?«
»Ich wusste nicht, dass ich hier landen würde. Kann ich Kaffee haben? Starken?«
»Ich koche eine Kanne. Hast du gegessen?«
»Ich … Äh … Ich weiß nicht mehr. Ja … Nein … Ich habe keinen Hunger.« Victor zog seine Jacke aus, warf sie auf einen Stuhl und setzte sich.
»Ist alles in Ordnung mit Moira?«, fragte Martha besorgt.
»Moira und Lilly geht es gut.«
»Bist du wegen der Arbeit hier?«
»Nein.«
»Ich hoffe, dass du nicht zum Reden über die Vergangenheit deines Vaters kommst. In diesem Punkt habe ich mich doch hoffentlich deutlich genug ausgedrückt. Akte hin oder her, ich möchte es nicht wissen.«
»Ich komme nicht, um über Vater zu sprechen«, sagte Victor.
»Gut. Wir verstehen uns.« Martha brachte den Kaffee an den Tisch, eine Tasse und Zucker und Milch und nahm auf ihrem Stuhl, mit dem Rücken zur Wand, Platz. Deckung, dachte Victor, immer in Deckung bleiben.
»Du siehst nicht gut aus, Junge.«
Victor wollte aufstehen, weglaufen, aber er konnte es nicht. Er fühlte sich bleischwer, wie an seinem Stuhl festgenagelt. Er fühlte sich schlecht und fragte, ob sie ein Aspirin habe.
Martha stand auf und brachte ihm Wasser und eine Packung Aspro.
»Es geht dir wirklich nicht gut, oder? Was ist los? Ist etwas mit dir und Lilly?«
Victor sah Martha lange an, öffnete seinen kleinen Koffer und legte das dicke Heft auf den Tisch. »Oma, ich bin nicht hier, um zu streiten. Ich bin hier, um zu reden.«
»Victor, ich hasse Überraschungen. Was hast du jetzt wieder vor? Komm, keine Spiele. Sag, was du zu sagen hast.«
»Das ist das Tagebuch von Lucy.«
»Das Tagebuch von w…? Oh Gott! Victor! Nein, nicht doch … Tu das nicht. Aufhören!«, schrie sie, sprang auf und hielt sich die Ohren zu.
Victor folgte ihr. Er versuchte, ihre Schultern festzuhalten. »Ich möchte einfach mit dir reden.«
Martha ging von ihm weg: »Ich habe es satt! Du bist ein Nagel zu meinem Sarg, weißt du das? Ich hasse dich!«
Victor sah, dass sie bebte, schwankte, und hielt sie fest.
»Lass mich los!«, schrie sie. »Lass mich um Gottes willen los!«
»Oma, alles ist in Ordnung. Alles ist okay. Beruhige dich, ruhig.«
»Ruhig? Ich soll ruhig sein?« Sie riss sich aus seinen Armen los und lief zum Stuhl. Sie
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