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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schlossen. Er drückte auf den Knopf der achtundzwanzigsten Etage.
    Von Heiden befinde sich in einem Meeting, erklärte eine seiner Sekretärinnen. Sie nehme jedoch gerne eine Nachricht für ihn entgegen und werde sie dem Verlagsleiter schnellstmöglich zukommen lassen. Carsten erklärte, dass er sich noch nicht endgültig für eine Zusage entschlossen habe, jedoch gerne einige Tage im Harz verbringen wolle; währenddessen würde er sich die Redaktion ansehen.
    Er war noch keine zehn Minuten zu Hause, als Elisabeth ihn ans Telefon rief. Von Heiden war persönlich am Apparat. Er freue sich sehr über Carstens Interesse, sagte er. Einem Probeaufenthalt, ganz gleich wie lange, stehe natürlich nichts im Wege. Ob ihm ein Flug, gleich morgen Mittag, recht sei? Falls ja, würde er ihm sämtliche Unterlagen umgehend zustellen lassen.
    Carsten erklärte sich mit allem einverstanden.
    Eine Dreiviertelstunde später brachte ein Bote einen Umschlag. Darin befand sich ein persönliches Schreiben des Verlagsleiters, in dem er noch einmal seine große Freude zum Ausdruck brachte. Beigelegt war ein Ticket. Carsten schlug es auf. Sein Zielflughafen war Leipzig.

Kapitel 2
    Das Warten währte sieben Tage. Seit einer Woche saß Fenn im Schatten der Fichten, gleich oben hinter der Hügelkuppe, und blickte starr nach Nordwesten. Der verlassene Wachturm thronte wie eine einsame Schachfigur auf der zerklüfteten Felsenklippe, hoch oben über der Schlucht und dem einstigen Todesstreifen. Schwarze Krähen kauerten auf seinem Dach, in den Fensterrahmen und am Fuße seiner Mauern. Ein- oder zweimal hatten Rehe ihre Nasen aus dem dunklen Unterholz gestreckt, um gleich darauf wieder zwischen den Zweigen zu verschwinden. Ob sie ihn selbst oder die Gerüche der längst abgezogenen Grenzsoldaten witterten, wusste Fenn nicht. Er war hier, um den Turm zu beobachten. Mal durch den Feldstecher, meist mit bloßen Augen. Er langweilte sich nicht. Er war das Warten gewohnt.
    Fenn war nicht der Erste, der zwischen den Fichten auf der Lauer lag. Vor ihm hatten andere hier gelegen, vier Männer und zwei Frauen. Jeweils sieben Tage lang. Geduld war eine ihrer stärksten Waffen. Tatsächlich war sie eine ihrer letzten.
    Gelegentlich ließ er seinen Blick über die Schlucht wandern. Zu Anfang hatten sie verschiedene Positionen ausprobiert, doch diese hier war die beste. Nicht nur war er auf dem Hügel sicher vor unerwünschten Blicken; zugleich bot seine Kuppe auch die größtmögliche Sicht über das Gelände rund um den Turm und hinab auf den Grund der Schlucht.
    Die hohen Felswände zu beiden Seiten schimmerten matt unter der Last schwarzer Mose und Pilzkulturen. Betonpfeiler, breit wie Oberschenkel, zwei Meter hoch, krönten die Kluft auf beiden Seiten, Überbleibsel des ehemaligen Grenzzauns. Die Sorge, ein Arbeitertrupp könne unerwartet zurückkehren und den Abbau vollenden, war einer der Gründe, warum sie den Turm überwachten. Sie mussten ganz sicher sein, dass niemand mehr hierherkam.
    Das endlose Band grauer Betonfinger, schräg wie eine erstarrte Reihe kippender Dominosteine, schloss die Felswände nach oben hin ab, verlief auf beiden Seiten parallel zur Schlucht und verschwand irgendwo weiter nördlich im Wald. Die Fichten schluckten es gierig mit der Schwärze ihrer Schatten.
    Nadelwälder begrenzten die Schlucht zu beiden Seiten, im Osten wie im Westen, und wälzten sich als dunkle Flutwellen bis zum Horizont. Allein auf der Ostseite des Turmes hatte man die Bäume in einem zwanzig Meter breiten Halbkreis gerodet. Doch selbst hier holte sich der Wald zurück, was einst ihm gehört hatte. Winzige Pflänzchen sprossen aus dem kargen Ödland, und der schmale Zufahrtsweg, ohnehin nur mit einem Geländewagen befahrbar, war jetzt schon halb von Gestrüpp überwuchert.
    Fenn entfernte die Kappe von seiner letzten Wasserflasche und nahm einen tiefen Schluck. Seine Verpflegung war nahezu aufgebraucht. Die Berechnungen stimmten.
    Der erste Tag war der schlimmste gewesen. Es hatte geregnet, und der kleine Hügel hatte sich unter ihm in einen Haufen Schlamm verwandelt. Eine Weile lang war er versucht gewesen, seinen Beobachtungsposten kurzzeitig ins Innere des leerstehenden Turms zu verlegen. Seine Vernunft hatte ihn vor diesem Fehler bewahrt. Bequemlichkeit schwächte die Wachsamkeit, so hatte man es ihm beigebracht. Zudem musste er den Turm samt seiner Umgebung aus der Position eventueller Gegner kennen, um gegen sie gerüstet zu sein. Es half nichts,

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