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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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das sich moderne Paare vor dem Altar geben, etwa lauten: «Ich verspreche dir, dich zu belügen»?
    Ich frage mich, wie viel Lüge verträgt eine Beziehung? Aber auch: Wie viel Wahrheit verträgt sie?
    «Eine Ehe ohne Geheimnisse ist entweder fade oder vorbei», sagte Regina immer. «Lügen kann und muss man auch aus Liebe. Bei Menschen wie uns halten Ehen nur, wenn sie durch etwas Betrug gewürzt werden. Die Wahrheit ist eine Blockhütte mit Lehmboden. Betrug ist eine Villa mit Geheimtreppen, abgehängten Decken und diskreten Bediensteten. Die Ketten der Ehe sind so schwer, dass man sie manchmal eben nur zu dritt tragen kann.»
    Trotzdem hatte Regina Hubbi schwören lassen, dass er, wie in den letzten zehn Jahren seiner Ehe, den Beischlaf mit seiner Frau ruhen lassen und auch nicht aus Mitleid oder am Hochzeitstag eine Ausnahme machen würde. Sie wachte eifersüchtig über seinen Terminkalender, sah Verabredungen mit weiblichen Abgeordneten in den Abendstunden äußerst ungern, ging aber ansonsten wie selbstverständlich davon aus, dass ein beruflich eingespannter Mann wie er mit einer Geliebten wie ihr vollends ausgelastet sein würde.
    Was jetzt? Erwartet Regina womöglich von mir, dass ich sie belüge? Ihr aus Freundschaft die Wahrheit über Hubbi erspare? Das ist eigentlich nicht meine Definition von Freundschaft. Aber soll ich sie deshalb jetzt anrufen und so ihr heiles Doppelleben zerstören? Sie glaubt doch so fest, in ihrer unordentlichen Welt sei alles in Ordnung. Wenn sie sich sofort auf den Weg macht, könnte sie Hubbi in flagranti ertappen und ihm eine denkwürdige Szene machen.
    Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir diese Gelegenheit zum Drama auf keinen Fall entgehen lassen. Endlich mal was los hier, hätte ich gedacht und mit mädchenhaft klopfendem Herzen und einer Mischung aus Mitleid und Sensationsgier Reginas Nummer gewählt. Einmal Schicksal spielen. Einmallive dabei sein. Regina liebt Szenen, und ich komme doch so selten dazu, bei einer zuzuschauen.
    Ich holte mein Handy aus der Tasche.
    Ein paar Minuten später orderte Hubbi die Rechnung, was auf einen baldigen Abtransport der beiden Brüste hindeutete. Es wurde höchste Zeit. Ich stellte mich vor ihn und knipste ein leutseliges Lächeln an.
    «Hubertus, wie schön, Sie zu sehen. Sie erinnern sich: die Schwimmbrille? Ich bin Rosemarie Goldhausen, Reginas beste Freundin.»
    Hubbi murmelte etwas Unverständliches.
    «Ich habe gesehen, dass Sie hier so ganz allein an der Bar rumstehen, und da dachte ich, ich sage mal Hallo. Bekanntheit kann einen ja so einsam machen, nicht wahr? So, ich muss jetzt leider los. Grüßen Sie Regina, falls Sie vor mir mit ihr sprechen.»
    Ich drehte mich um, würdigte die Brüste, die mich die ganze Zeit über sprachlos angestarrt hatten, keines Blickes und fuhr nach Hause.
    Das hatte ich gut gemacht! Genau so, wie Karsten es mir am Telefon geraten hatte. Erst wollte ich Erdal anrufen, aber der hätte sich mit seinem Asthmaspray ausgerüstet und mir gesagt, ich solle Regina unter keinen Umständen Bescheid sagen, bevor er selbst nicht am Ort des Geschehens eingetroffen sei und sich einen Platz in der ersten Reihe gesichert hätte.
    «Nicht Schicksal spielen, aber Stellung beziehen», hatte Karsten gesagt. «Zeig ihm die gelbe Karte. Du hast ihn durchschaut, das muss er wissen – Regina nicht», hatte er in den Hörer gebrüllt.
    St.   Pauli hatte schon wieder gewonnen, und ich hatteKarsten im Vereinsheim erreicht, wo unser Gespräch durch grölende Stimmen im Hintergrund erschwert wurde. «Ihr könnt nach Hause gehen! Ihr könnt nach Hause gehen», skandierten sie abwechselnd mit «We love St.   Pauli, oooooh! We love St.   Pauli, we do!» und «Magisches St.   Pauli, siege heute hier für uns!». Da fragt man sich ja schon, warum sich nicht mal jemand die Mühe macht, sich einen Nachmittag konzentriert hinzusetzen und sich ein paar eindrucksvollere Reime auszudenken.
    Das also war der Abend meines siebenunddreißigsten Geburtstages gewesen. Immerhin war ich früh genug wieder zu Hause, um das Finale von «Deutschland sucht den Superstar» zu sehen.
     
    Ich nehme den Topf vom Herd, fülle mein Diät-Menü auf einen Teller und setze mich an den Küchentisch. Aber mein Hunger hat mich auch noch verlassen. Das bevorstehende Gespräch mit der Personalleiterin des Verlags liegt mir wie ein Betonklotz im Magen.
    Ich reiße den Umschlag mit meiner Kündigung auf.
    Ein Brief fällt heraus. Und ein Schlüssel. Und mein

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