Schwerelos
tatsächlich Ernst gemacht!
Wort- und fassungslos unterschreibe ich die Empfangsbestätigung und schmeiße den Umschlag auf den Küchentisch. Ich brauche ihn nicht zu öffnen. Ich weiß auch so, was drinnen ist: Zwischen dem Taschenvibrator, den mir Regina gestern geschenkt hat, und dem Schokoladenkuchen meiner Mutter, auf den längst nicht so viele Kerzen draufpassen wie drauf müssten, liegt meine Kündigung.
«Ich fasse nochmal zusammen», hatte Dr. Stegele vor zwei Tagen mit mühsamer Beherrschung gesagt, «Conradi bleibt verschwunden und liefert das Buch nicht wie vereinbart zum Herbst. Und wir können ihn deswegen noch nicht mal verklagen, weil er seinen Vertrag noch gar nicht unterschrieben hat. Wie ist das bitte zu erklären?»
«Herr Conradi hat einen Horror vor juristischem Kram. Solche Sachen lässt er monatelang rumliegen.»
Die Wahrheit war, dass Conradi seinen Vertrag meinetwegen noch nicht unterzeichnet hatte. Er wollte abwarten, ob ich mich selbständig machen würde.
«Und wie ich von Frau Kern höre, haben Sie am Montag auch noch unentschuldigt gefehlt.»
«Da habe ich doch meinen Patensohn zur Welt gebracht.»
«Frei gibt es nur, wenn man selbst gebiert. Ich werde zeitnah entscheiden, welche Konsequenzen Ihr Verhalten haben wird.»
Goodbye, goodbye, goodbye.
Ab heut bist du frei!
Ja, das kann man wohl sagen.
Partnerlos. Arbeitslos. Und demnächst auch wohnungslos.
Frei ist gar kein Ausdruck, komplett gescheitert trifft es wohl eher. Mein jetziger Zustand entspricht in keiner Weise auch nur annähernd dem, den ich mir für meine zweite Lebenshälfte vorgestellt hatte. Wo ist die Wäscheleine, an der im seichten Abendwind meine Still-BHs, die Neugeborenen-Erstausstattung und die Boxershorts meines Ernährers trocknen? Wo das Reihenendhaus mit kugeligen Buchsbäumchen rechts und links der Eingangstür? Wo das Zimmer mit Blick über Paris, für das es sich zumindest gelohnt hätte, auf die kugeligen Buchsbäumchen und den Ernährer zu verzichten?
Mutterpass oder Lohnsteuerkarte? Diese luxuriöse Frage stellte sich für mich nicht mehr. Ich kann demnächst im Fitnessstudio die Sonderkonditionen für Arbeitslose in Anspruchnehmen. Und vielleicht gewährt mir das «Hambur ger Abendblatt» ja Mengenrabatt, weil ich gleichzeitig in den Rubriken «Stellenangebote», «Partnersuche» und «Woh nungssuche » werde inserieren müssen.
Ich blättere niedergeschlagen in der Zeitung vom Samstag.
« Schneewittchen (1,75 – 29 – 57) wartet noch immer auf ihren Prinzen. Aufgehalten worden? Schreib mir mit Bild, oder ich nehme einen von den Zwergen …»
Meine Güte, die ist noch keine dreißig, wiegt nicht mehr als eine Scheibe Knäckebrot und muss sich schon Sorgen machen, keinen ordentlichen Typen mehr abzubekommen. Sind die guten Männer denn wirklich so rar gesät? Und wenn ja, wie konnte ich den unverzeihlichen Fehler begehen, einen Mann, der mich nicht geschlagen hat, mich nicht beklaut und noch nicht mal betrogen hat, wieder in die freie Marktwirtschaft zu entlassen? Das ist ja, wie auf dem Flohmarkt eine nagelneue Gucci-Sonnenbrille für fünf Euro anzubieten. Keine zehn Sekunden, und das Ding ist weg. Da muss man doch total bescheuert sein!
Und dieses dürre Schneewittchen angelt sich jetzt womöglich meinen Exfreund, meinen Frank, an dem ja nun wirklich nicht viel auszusetzen ist. Sie wird ihr Glück kaum fassen können, dass sie so ein tadelloses Exemplar erwischt hat. Und dann werden die beiden heiraten, Kinder kriegen, und Scheiß-Schneewittchen hängt ihre Still-BHs an meine Wäscheleine!
Und was gebe ich dann für eine Annonce auf?
« Pechmarie (1,70 – 45 – 85) hat ihren Prinzen ver grault und zu viel Schokolade gegessen und wärefroh, wenigstens noch einen von den Zwergen abzubekommen. Auch Zuschriften ohne Bild werden garantiert beantwortet . »
Ich esse vor lauter Verzweiflung das vierte Stück vom Geburtstagskuchen, der so staubig schmeckt, wie ich mich fühle.
Gott sei Dank ruft Erdal an, um mich über die neuesten Fortschritte unseres eine Woche alten Babys zu informieren. Er ist überzeugt, dass Joseph ihn jetzt bereits aus zehn Metern Entfernung erkennt, und ich glaube, Leonie hat bisher noch nicht eine Windel ihres Sohnes selbst gewechselt, da sich Karsten in dieser Hinsicht als sehr geschickt und Erdal als erstaunlich ekelresistent herausgestellt hat. Ich habe die beiden jetzt schon mehrfach fachsimpelnd über das Baby gebeugt am Wickeltisch stehend
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