Schwerelos
angetroffen.
Ich selbst bin vollkommen erstaunt über mein ungeheucheltes Interesse an Josephs Kotkonsistenz, Schlafrhythmus und Bäuerchenfrequenz.
«Gestern waren zwei Mütter mit ihren sieben Tage alten Kindern bei uns zu Besuch», beginnt Erdal grußlos. «Ich wollte ja nichts sagen, aber ich frage mich schon, wie die mit ihren hässlichen Krötchen jemals wieder glücklich werden sollen, wo sie unseren Joseph gesehen haben.»
«Jede Mutter findet ihr eigenes Kind am schönsten. Das hat die Natur Gott sei Dank so eingerichtet. Mütter sind niemals objektiv.»
«Unsinn, ich bin doch auch objektiv. Sorgen macht mir nur, dass sein Penis in den letzten Tagen nicht mitgewachsen ist. Aber sag, wie geht es dir? Josephs Nabelschnur ist endlich abgefallen, und ich will sie heute nach Sonnenuntergang im Garten zusammen mit einem Euro und einer Haselnussvergraben. Das bringt Reichtum und Fruchtbarkeit. Hast du nicht Lust vorbeizukommen?»
«Ich bin deprimiert.»
«Das kann ich verstehen. Als Frau in deinem Alter sind Geburtstage natürlich eher Tragödien.»
«Ich habe heute meine Kündigung bekommen.»
«Auweia. Dann ruf deinen Anwalt an. So einfach ist es nicht, jemanden rauszuschmeißen.»
«Vielleicht will ich die Kündigung gar nicht anfechten. Ich hasse diese Kern, und der einzige Autor, den ich mochte, hat sich aus dem Staub gemacht.»
«Du wolltest dich doch sowieso selbständig machen. Fang morgen damit an.»
«Ohne Geld, ohne Wohnung und ohne Autor?»
«Du musst auch das Gute an deiner Situation sehen.»
«Und das wäre?»
«Da müsste ich jetzt länger überlegen.»
«Ich verspreche dir, dich zu belügen»
Am Montag schleiche ich mich wie ein Dieb in mein Büro. Ich bin extra früh gekommen, um mir mitleidige Floskeln auf den Gängen zu ersparen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Kern gestern bereits ein paar schadenfrohe Telefonate mit Kollegen geführt hätte.
Es ist schon erstaunlich, was man alles vermissen kann, wenn man sich nur lange genug daran gewöhnt hat: ein Büro, nicht viel größer als eine Flugzeugtoilette, einen Mann, der sich die Nagelhäute mit dem Autoschlüssel zurückschiebt, einen Verlag, der hauptsächlich Fachliteratur zu Bachblüten und Pudelfrisuren herausbringt.
Ich wähle die Nummer der Personalleiterin, um zu klären, wann ich meinen Resturlaub nehmen soll.
«Es tut mir sehr leid, Frau Goldhausen, aber die Kopie Ihrer Kündigung ist noch nicht bei mir angekommen. Kommen Sie doch mit Ihrem Original bei mir vorbei. Dann werde ich all Ihre Fragen beantworten.»
«Das Schreiben liegt bei mir zu Hause. Kann ich es holen und nachher bei Ihnen vorbeikommen?»
«Selbstverständlich.»
In der Mittagspause stehle ich mich aus dem Verlag. Zu Hause öffne ich den Kühlschrank, aus dem ein Ein-Personen-Kühlschrankgeworden ist. Er beherbergt derzeit einen Mini-Romana-Salat, eine Single-Gurke, fünf Flaschen Sekt und zwei tiefgefrorene «Brigitte-Diät»-Menüs. Ich nehme eine Packung «Nasi Goreng» heraus und schalte eine Herdplatte an. Die Mikrowelle funktioniert seit ein paar Tagen nicht mehr.
Ich habe den Eindruck, dass die technischen Geräte in der Wohnung schnell bemerkt haben, dass sie neuerdings mit einer Frau allein leben. Die elektrische Zahnbürste hat ihren Dienst gleich ganz quittiert, und auch die Fernbedienung und der Toaster tanzen mir neuerdings auf der Nase herum wie ein Hund ohne ein ernstzunehmendes Herrchen.
Dinge – unter ihnen besonders die Männer – haben ein feines Gespür dafür, wann eine Frau bedürftig und verzweifelt ist, und nutzen das schamlos aus. Das war mir gestern sehr bewusst geworden.
Ich hatte beschlossen, meinen Geburtstagsabend so zu verbringen, wie ich auch den größten Teil meiner zukünftigen Geburtstage verbringen würde: allein. Aber ich wollte mutig und stark sein und meinem harten Schicksal selbstbewusst die Stirn bieten.
Ich zog mein schwarzes Kleid an, das dank Kummer und «Brigitte-Diät»-Menüs nur noch eng und nicht mehr zu eng war, bestellte ein Taxi und fuhr in die «Tower Bar» im elften Stock eines Hotels mit grandiosem Blick über den Hamburger Hafen und hoffentlich dem ein oder anderen ansehnlichen männlichen Gast, der bereit sein würde, mir zum Geburtstag zu gratulieren, mir kostspielige Drinks zu spendieren und mir einigermaßen glaubwürdige Komplimente zu machen.
«Die ‹Tower Bar› ist ein unglaublicher Abschlepp-Laden.Die Frau, die da nicht angebaggert wird, muss erst noch geboren werden»,
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