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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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sich haut, müssen wir ihn fixieren», sagt die Eule und dokumentiert all das auf der Patientenkurve. Momentan hat Herr Schroth aber noch seine Erstdosis an Bord und dämmert im Pharma-Nebel vor sich hin. Die Gabel befindet sich im Geschirrspüler.
     
    Es ist ein mieses Gefühl, jemanden zu fixieren. Es gibt zu diesem Zweck Bauchgurte, die vereiteln sollen, dass Menschen das Bett verlassen oder hinausfallen und all die Kabel, die in ihren Venen oder an ihrer Haut angebracht sind, heraus- und abreißen. Und es gibt Handfesseln, mittels derer Patienten daran gehindert werden, sich – allmählich und verwirrt aus einer langen Narkose erwachend – den Beatmungsschlauch aus dem Hals zu ziehen, den Dauerkatheter aus der Blase oder den zentralen Venenkatheter aus der Halsvene zu reißen. Und sie hindern Patienten daran, das Pflegepersonal zu schlagen. Manche verlegen sich dann aufs Treten, deshalb macht man besser einen großen Bogen um das Fußende. Obwohl ich den Sinn dahinter erkenne und kein Interesse an einer handfesten Schlägerei mit einem Patienten habe, haftet der Fixierung von Patienten der Geruch von Knast an.
     
    Anderntags bietet sich mir im Spätdienst ein ähnliches Bild. Es ist kurz nach zwanzig Uhr, und draußen wird es bereits dunkel.
    «So», sagt Frau Siebrecht, «dann wollen wir mal.»
    Was hat die Frau vor? Sie hat bereits ihre Beine aus dem Bett geschwungen, und meine Frage, wo sie denn hinwolle, lässt sie stutzig werden.
    «Ja, ich muss doch jetzt los!», meint sie etwas verunsichert.
    «Wo müssen Sie denn hin?», frage ich.
    «Na – arbeiten!», sagt Frau Siebrecht schon fast entrüstet. Sie verliert den Faden.
    Ich hatte dem Star versprochen, ihr beim Lagern ihres Patienten zu helfen, glaube aber, dass die Patientin erst mal Orientierungshilfe braucht. Die sitzt nun irritiert auf der Bettkante, volles schlohweißes Haar umrahmt ihr freundliches Gesicht, und guckt mich skeptisch an. Frau Siebrecht wirkt wie jemand, der noch bereit ist, zuzuhören, aber es sollte nach Möglichkeit nicht allzu lange dauern und die Argumente müssen schon sehr gut sein. Ich setze mich auf einen Hocker neben das Bett der Patientin und sage: «Frau Siebrecht, Sie sind im Krankenhaus auf der Intensivstation.»
    Frau Siebrecht guckt ungläubig.
    «Sie hatten einen Herzinfarkt, und wir sind froh, dass es Ihnen schon wieder ganz gutgeht», versichere ich ihr und frage mich gleichzeitig, ob Frau Siebrecht eigentlich auch findet, dass es ihr ganz gutgeht. Sie guckt mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
    «Und es ist kurz nach acht Uhr abends, gucken Sie doch mal, es wird schon dunkel», versuche ich ihr die Realität zusammenzupuzzeln.
    «Und jetzt?», fragt sie mich etwas ratlos. Ich biete ihr an, ihr einen Tee zu kochen, und sie bekommt glänzende Augen.
    «Oh ja, einen Kamillentee!»
    Dann lässt sie sich von mir zurück ins Bett helfen. Ich knautsche ihr das Kissen in den Rücken, damit sie bequem sitzt, sage ihr, dass ich Teewasser aufsetzen gehe und gleich zurück bin, und knipse ihr die kleine Lampe neben dem Bett an.
    «Bis gleich», sagt sie und winkt freundlich.
    Während ich in die Stationsküche husche, um den Boiler einzuschalten, ahne ich, dass das bei Frau Siebrecht noch nicht alles war: Es geht sachte los, und dann geht es rund, manchmal über Tage. Oder Wochen. Ich flitze weiter in das Nachbarzimmer, in dem der Star bereits den größten Teil alleine erledigt hat, und während ich mir eine Plastikschürze umbinde und quietschend die Gummihandschuhe über die Hände streife, schildere ich dem Star die Lage im Nachbarzimmer. Sie winkt grinsend ab und tröstet mich mit der Tatsache, dass ja nun gleich Feierabend sei. Zudem haben wir noch vor, gemeinsam eine Kleinigkeit in unserer Lieblingskneipe zu essen. So etwas beruhigt mich immer sofort. Als wir dem Patienten gerade eine aufgerollte Bettdecke unter die rechte Körperseite legen, damit er keine Druckstellen bekommt, lässt uns plötzlich etwas aufhorchen. Ich spitze die Ohren – «Na, komm doch mal her zu mir», höre ich Frau Siebrechts Stimme aus dem Nachbarzimmer, und es folgt ein Geräusch, mit dem man Katzen oder Hunde anlockt. Was ist das denn jetzt?
    Weil wir fertig sind, gehe ich aus dem Zimmer, ach, jetzt hab ich den Tee vergessen, egal, da ist das Geräusch schon wieder. Als ich bei Frau Siebrecht um die Ecke gucke, legt sie den Zeigefinger an ihre geschürzten Lippen, sagt leise «Psssst! Gucken Sie mal» und deutet unter

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