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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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erleben Patienten, die sich nicht zum Hausarzt getraut haben, weil sie die zehn Euro Praxisgebühr nicht übrig hatten – und beim Eintreffen des Notarztes in Panik geraten, weil sie befürchten, dass der Arzt sie mit ihren Beschwerden alleine lässt, wenn sie nicht sofort bezahlen.
    Ich habe mehrere Male erlebt, dass Patienten eigenmächtig ihre Blutdruckmedikamente abgesetzt haben und als Folge mit Lungenödem bei hypertoner Krise auf die Intensivstation gebracht werden mussten. Man ist geneigt zu denken: «Ja, spinnen die denn, wie kommen die denn auf die Idee, diese Tabletten abzusetzen?», bis einem klar wird, dass einige dieser Leute schlichtweg kein Geld für die hohen Rezeptgebühren übrig haben.
    Es wird gekürzt und gestrichen und nicht umverteilt. Es wird mit dem Finger auf diejenigen gezeigt, die durch das sogenannte soziale Netz fallen. Es wird langwierig und folgenlos darüber diskutiert, ob man in Schulen Gratisobst für die Kinder austeilen lässt. Es wird darüber befunden, dass arme Menschen zu dick und ungebildet seien. Und es sind Feststellungen von nicht minder dicken und angeblich gebildeten Menschen, die qua ihres Amtes dafür sorgen, dass es auch dabei bleibt – das nennt man Sozialdarwinismus. Und in diesem System können immer noch ausreichend viele Menschen gut leben und alle vier Jahre ihr Kreuzchen bei der Partei machen, die ihnen genau das weiterhin garantiert.
    Ich aber komme zunehmend zu der Ansicht, dass ein System, welches Menschen täglich vor die Wahl stellt, sich etwas zu essen zu kaufen oder doch lieber die Heizkosten oder die Medikamente zu zahlen, abgeschafft werden muss.
    Wenn wir davon ausgehen, dass ein Krankenhaus für die Versorgung akut oder chronisch erkrankter Menschen gebaut worden ist und diese Versorgung von Krankenschwestern und -pflegern sowie Ärztinnen und Ärzten garantiert werden soll, dann frage ich mich, wie es um den «Betrieb Krankenhaus» wirklich steht, in dem wild ineinander verschachtelte Verwaltungshilfen und quasi klandestin agierende Pseudoleitungsstrukturen ohne pflegerischen und medizinischen Sachverstand Arbeitsplätze wegstreichen, die die Basis der Patientenversorgung gewährleisten.
    Die Frage «Was würdest du denn stattdessen machen?» ist eine Mischung aus Ratlosigkeit und Wut, und ich kann sie nicht beantworten, zumal solche Fragen erst dann gestellt werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Meine Hoffnung, dass Klinikleitungen nach Grundlagen des modernen Managements die betroffenen Berufsgruppen in Problemlösungen einbinden, weil diese später mit den Ergebnissen arbeiten und zurechtkommen müssen, ist mittlerweile verpufft. Auch der freundlich gemeinte Besuch eines Gesundheitsexperten aus dem Bundestag wird hier nichts ausrichten können. Ich wäre zufriedener, wenn man wenigstens diejenigen zu Wort kommen ließe, die sich in diesem riesigen Verwaltungsapparat tatsächlich noch eigene Gedanken machen, anstatt nur zu nicken. In all diese patientenfernen Arbeitsbereiche einmal hineinzuschnuppern, meinetwegen auch bei einem gemeinsamen Mittagessen, das wäre sicherlich ein sinnvollerer Ausflug für den Gesundheitsexperten gewesen, anstatt überforderten Kollegen in der Hektik einer Normalstation im Weg herumzustehen.
    Eigentlich mag ich meinen Beruf, und ich habe viele Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen, mit denen jeder noch so große Tumult und jedes noch so unüberschaubare Chaos mit Engagement, Fachwissen und schwarzem Humor wieder in geordnete Bahnen gebracht werden kann. Aber ich finde, wir haben es nicht verdient, verwaltet und gestrichen zu werden – und nicht nur ich empfinde eine gewisse Ratlosigkeit bei der Vorstellung, dass ich diesen Job unter diesen Umständen bis zur Rente machen soll, besonders weil man der Generation frisch ausgebildeter, junger und engagierter Krankenschwestern und -pfleger zur Zeit glauben zu machen versucht, dass man sie nicht brauche, weil keine Stellen vorhanden seien. Die Folge wird sein, dass wir in den nächsten Jahren ein Team aus gebrechlichen und senilen «prä-Rentnern» sein werden, das mit jahrzehntelanger Berufserfahrung «Klinik-Kunden» versorgen wird und sich gemäß der Alterspyramide mit den Patienten einträchtig die Tabletten teilt. Das Qualitätsmanagement wird ein Zertifikat für die Schaffung barrierefreier Arbeitsmöglichkeiten für die Rollstuhlfahrer unter uns bekommen, und wer zwei Jahre unfallfrei über die Station fährt, bekommt einen

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