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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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Mülleimer leeren, Wäschesäcke entsorgen. Die Zeit wird knapp, doch dann schafft es Frau Anzug, Frau Siebrecht zu einem neuen venösen Zugang am Unterarm zu überreden. Den Vormittag wird Frau Siebrecht also zunächst schlafend verbringen, um dann zu erwachen und sich mit denselben Fragen wie in den frühen Morgenstunden zu befassen. Bei ihr nimmt die Situation aber dann plötzlich einen sehr schönen Verlauf – nachdem sie die darauf folgende Nacht fast ohne Unterbrechung durchgeschlafen hat, erwachte sie am nächsten Morgen so, als sei nie etwas gewesen. Keine Tiger, kein Aktionismus, der ins Leere lief – Frau Siebrecht war wieder «auf dem Dampfer» und wurde einen Tag später verlegt.
     
    Herr Schroth ist kurz nach dem Besuch seiner Frau eingeschlafen. Den ganzen Tag hat er in seinem Bett herumgewühlt und alle weggejagt, die ihm zu nahe kamen. Nachts wäre er beinahe aus dem Bett gestürzt, und am Vormittag war er von all der Action und den Medikamenten schläfrig und wurstelte verwirrt vor sich hin. Frau Schroth war fassungslos über den Zustand ihres Mannes. «Das ist eigentlich ein ganz friedlicher und lustiger Kerl, der tut keiner Fliege etwas zuleide!» In einer Mischung aus Entsetzen, Sorge und peinlichem Berührtsein saß sie neben seinem Bett, in dem Herr Schroth unruhig herumnestelte, sie erstaunt anguckte und immer wieder von «den Truppen» sprach. Frau Schroth ist das Ganze ein Rätsel.
    «Ich weiß nicht, was er damit meint – vielleicht irgendwas aus dem Krieg, aber darüber spricht er nur selten.» Nach einer Stunde ging Frau Schroth resigniert nach Hause. Natürlich hat ihr der Vollbart erklärt, warum ihr Gatte so ausgerastet ist; richtig getröstet hat sie das freilich nicht. Immerhin gibt es aber eine Erklärung für sein Verhalten, und das scheint Frau Schroth vorerst ein wenig zu beruhigen.
    Dann aber spitzt sich die Situation unerwartet zu. Das Licht im Zimmer ist gedämpft, und draußen ist es bereits dunkel. Die Bohnenstange kommt ins Zimmer, und Herr Schroth liegt schlafend auf dem Rücken. Als sich die Bohnenstange vorsichtig über ihn beugt und behutsam versucht, ihn zu wecken, schreckt Herr Schroth plötzlich hoch und schlägt der Bohnenstange mit voller Kraft seine Faust ins Gesicht. Die Bohnenstange taumelt durchs Zimmer, hält sich die Hände vor das Gesicht und hört Glöckchen und Vöglein. Herr Schroth brüllt «Hilfehilfehilfe!!!!!» Sofort ist Leben auf dem Flur, und die Eule geht just in dem Moment an dem Zimmer vorbei, als die Bohnenstange den heftigen Schwinger ins Gesicht bekommt.
    «Scheiße!», ruft sie, rennt ins Zimmer, macht das Licht an und gerät bedauerlicherweise ein paar Zentimeter zu dicht an das Bett von Herrn Schroth, der ihr einen ordentlichen Tritt gegen den Brustkorb versetzt. Im Taumel versucht sich die Eule noch am Kurvenwagen festzuhalten, und ihre freie Fahrt wird nur vom Körper des Vollbarts aufgehalten, der gerade mit dem Star zur Tür hereinkommt. Als ich hinzukomme, sieht die Bohnenstange bereits aus wie Donald Duck. Die Oberlippe ist geschwollen und blutet. Ängstlich prüft er, ob noch alle Zähne an ihrem Platz sind.
    Herr Schroth ist noch immer außer Rand und Band und reißt sich den zentralvenösen Zugang aus der Halsvene und den Zugang aus dem Unterarm. Alles, was fremd ist, muss jetzt sofort weg. Erschüttert müssen wir zusehen, wie der Mann unsere Handlungsmöglichkeiten in Sekundenbruchteilen vernichtet. Er schlägt wild um sich, als sich die Eule mühsam aufrappelt und wieder zum Stehen kommt, er haut und tritt nach der Bohnenstange, der sich am Fußende des Bettes Richtung Waschbecken bewegt, um sich das Blut aus dem Gesicht und dem Mund zu spülen. Er hält erst inne, als der Vollbart seine Stimme erhebt; noch nie habe ich den Vollbart so brüllen hören. «Herr Schroth, was ist hier los?»
    Stille. Herr Schroth guckt irritiert den Vollbart an – und brüllt «Hilfe!»
    Die Bohnenstange wird aus dem Zimmer und in die Ambulanz geschickt. Nach diesem «Betriebsunfall» ist er für den Rest des Tages arbeitsunfähig und wird voraussichtlich nach Hause gehen. Andere fallen vom Kran oder werden vom Gabelstapler angefahren. Wir hingegen kriegen manchmal gehörig die Fresse poliert.
    Trotz all der Scherereien geben wir nicht auf, Herrn Schroth zu helfen. Es muss in Windeseile ein venöser Zugang her, der in seine Armvene gestochen werden muss. Da er sich natürlich wehren wird, brauchen wir mindestens vier Leute, um ihn

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