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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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ich habe meine Gründe dafür, wenn ich dich bitte, vorsichtig zu sein.«
    Spätestens jetzt schrillten alle Alarmglocken in Julias Kopf.
    »He, wenn es irgendetwas gibt, was du mir sagen willst, dann hör bitte auf, drum rum zu reden. Also, was ist los?«
    »Nein, es ist nichts. Es ist nur … so sind Mütter nun eben mal, wenn ihre Töchter nicht mehr im selben Haus wohnen.«
    Julia holte wieder tief Luft. »Ab heute Mittag bin ich nicht mehr alleine«, sagte sie dann, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte. »Erinnerst du dich nicht? Habe ich dir doch gestern schon erzählt. Marie kommt mich besuchen! Du kannst also ganz beruhigt sein.«
    Das passte nicht zu ihr, dachte Julia. Merette hatte ihr offensichtlich gar nicht zugehört. Aber Julia war sich sicher, dass sie von Maries Anruf erzählt hatte. Und normalerweise speicherte Merette selbst Belanglosigkeiten mit einer Zuverlässigkeit ab, die einem fast Angst machen konnte.
    »Marie? Ich denke, ihr habt euch so zerstritten, dass da gar nichts mehr läuft?«
    »Jetzt aber doch wieder, hoffe ich jedenfalls.«
    Julia wiederholte noch mal kurz, was ihre Mutter eigentlich längst hätte wissen müssen. Dass ihre ehemals beste Freundin Marie sich nach fast einem Jahr absoluter Funkstille wieder bei ihr gemeldet hatte. Dass das alte Vertrauenfast sofort wieder da gewesen war. Dass sie, ohne groß zu überlegen, beschlossen hatten, einen Neuanfang zu wagen. Dass Marie aus Oslo kommen wollte, um sie zu besuchen.
    »Ich freu mich für dich«, sagte ihre Mutter. »Und ich drück dir die Daumen, dass ihr wieder zusammenfindet.«
    Sie verabredeten sich vage für einen der nächsten Tage, auch Merette wollte Marie gerne wiedersehen. Dann legten sie auf, und Julia war alleine mit ihren Gedanken.
    Was war los mit ihrer Mutter? Es hatte irgendwas mit ihrer Bandaufzeichnung zu tun, davon war Julia mittlerweile überzeugt. Aber hatte Merette ernsthaft Angst, dass da irgendein durchgeknallter Typ … Und warum sollte er bei Julia auftauchen? Das ergab keinen Sinn. Wer immer der Typ war, wusste er ja wahrscheinlich noch nicht mal, dass es Julia überhaupt gab.
    Es gehörte zu den absoluten Grundsätzen jedes Psychologen, nichts über seine privaten Verhältnisse preiszugeben. Wenn hier also jemand in Gefahr war, dann doch wohl eher ihre Mutter selbst! Aber was bedeutete das? Musste sie sich jetzt Sorgen um Merette machen?
    Erst als Julia schon zurück auf dem Weg zu ihren Kommilitonen war, fiel ihr der Anruf wieder ein, bei dem ihr Display »unbekannter Teilnehmer« gemeldet hatte. Ärgerlich schob sie den Gedanken beiseite, irgendjemand hatte die falsche Nummer gewählt, das passierte öfter, mehr war da nicht. Sie würde sich nicht auch noch verrückt machen lassen, es reichte schon, dass Merette durch den Wind war.

X. Sechs Stunden vorher
    Er war echt sauer auf die Psycho-Schlampe. Sie hatte ihn reingelegt. Und er hatte reagiert wie eine Marionette, die hilflos an ihren Fäden zappelt und keinen eigenen Willen hat. Gleichzeitig hatte er eigentlich nur noch brüllen wollen, was sie sich einbildete, ihn nach Belieben herumzukommandieren! Und er wusste immer noch nicht, ob sie das überhaupt durfte, einen Termin einfach so nach vorne zu verlegen, so dass er gar nicht erst die Chance gehabt hatte, sich vorzubereiten. Aber als er irgendwas davon gemurmelt hatte, dass ihm das doch merkwürdig vorkäme, war sie ihm sofort über den Mund gefahren und hatte ihn glatt vor die Wahl gestellt: Entweder er würde in einer Stunde bei ihr antanzen, oder sie würde den Fall abgeben. Inzwischen war er überzeugt davon, dass das nichts als Taktik gewesen war, sie wollte offensichtlich, dass er begriff, wer von ihnen am längeren Hebel saß. Und er sollte sich klein fühlen, minderwertig, unterlegen. Es war immer wieder dasselbe. Die verdammte Schlampe unterschied sich keinen Deut von den anderen Erziehern, Sozialarbeitern, Psychologen, die angeblich immer nur sein Bestes gewollt hatten.
    Erst auf dem Weg in ihre Praxis war ihm der Gedanke gekommen, dass sie vielleicht nur reagiert hatte. Dass sie mit dem Rücken zur Wand stand und sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als mit dieser bescheuerten Nummer, von dersie hoffte, ihn damit aus dem Konzept zu bringen. Mit anderen Worten: Sie war auf ihn reingefallen, er hatte sie längst da, wo er sie haben wollte – sie hatte Angst vor ihm! Sein kleines Spiel hatte schon funktioniert, noch bevor es überhaupt richtig angefangen hatte.

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