Schwesterlein muss sterben
Und das Beste dabei war, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, welche Trumpfkarten er noch ausspielen würde.
Sie musste die ganze Zeit über, in der sie auf ihn wartete, Kette geraucht und erst kurz zuvor das Fenster geöffnet haben. Die Luft in ihrem Arbeitszimmer war immer noch zum Schneiden dick.
Als sie sich in den Sessel ihm gegenüber setzte, dachte er, dass sie eigentlich verdammt gut aussah. Sie hatte sich für ihn zurechtgemacht, da war er sich sicher. Der enge Rock und die schwarzen Strümpfe waren genauso mit Bedacht ausgewählt wie der Kaschmirpullover mit dem dezenten Ausschnitt und die schlichte Halskette aus Silber. Aber mehr noch als der Gedanke, ob sie unter dem Rock womöglich Strapse trug, machte ihn ihre Angst an, die er förmlich riechen konnte. Er musste allerdings zugeben, dass sie sich dennoch erstaunlich gut unter Kontrolle hatte. Da war nicht das kleinste Zittern in ihrer Stimme, als sie das Gespräch eröffnete. Und sie fixierte seine Augen mit einem Blick, der ihn fast wieder nervös werden ließ.
Er legte den Kopf in den Nacken und tat so, als wäre er immer noch beleidigt und wüsste nicht, was das Ganze eigentlich sollte.
»Tut mir leid, dass ich vorhin ein wenig barsch zu Ihnen war. Aber es war mir wichtig, dass wir uns nicht erst in der kommenden Woche wieder sprechen …«
Er machte eine vage Handbewegung und blieb auf der Hut. Nicht er war die Marionette.
Sie kam erstaunlich schnell zum Punkt.
»Sie haben mir beim letzten Mal eine Geschichte erzählt, zu der ich noch einige konkrete Fragen habe.«
Er nickte, als hätte sie ihn um die Erlaubnis gebeten, weitersprechen zu dürfen.
»Fragen Sie. Ist okay. Nein, warten Sie! Ich muss Ihnen erst noch was sagen …«
Sie sah ihn irritiert an. Damit hatte sie jedenfalls nicht gerechnet.
Er beugte sich weit über den flachen Tisch, der zwischen ihnen stand, und blickte ihr mit schräg gelegtem Kopf ins Gesicht.
»Ich habe noch mal nachgedacht. Was ich da neulich von Ihnen wissen wollte, erinnern Sie sich noch? Ich habe gefragt, ob Sie Kinder haben. Okay, ich wette, Sie haben eine Tochter! Nein, lassen Sie mich ausreden, bitte«, sagte er schnell, als sie ihn unterbrechen wollte. »Ich will nur wissen, ob ich richtig liege. Also, eine Tochter, achtzehn würde ich sagen, nein, älter, Anfang zwanzig, mindestens! Verstehen Sie mich nicht falsch, nichts gegen Ihr Aussehen, Sie sehen noch echt gut aus, aber Ihre Tochter ist garantiert schon vierundzwanzig, fünfundzwanzig? Na los, sagen Sie schon, habe ich recht oder habe ich recht?«
Es fiel ihm leicht, über seinen eigenen dummen Spruch zu lachen, während er gleichzeitig mit Genugtuung registrierte, wie sie die Lippen aufeinanderpresste und sich ihre Kieferknochen vor Anspannung deutlich unter der Haut abzeichneten. Mit einer schnellen Handbewegung strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor sie sich zurücklehnte und den Blick auf einen Punkt über seinem Kopf richtete. Sie war cool. Aber nicht cool genug. Ihre Stimme war ein wenig zu hoch, als sie weitersprach.
»Sie sagten, Sie hätten mit vierzehn einen Mord begangen, und es wäre nicht bei diesem Mord geblieben, sondern …«
Jetzt hatte er sie! Er hatte nicht gedacht, dass es so einfach werden würde. Er fuhr aus seinem Sessel hoch.
»Was?«, rief er und starrte sie gleichzeitig so fassungslos an, wie er hoffte, dass es überzeugend genug wäre. »Was reden Sie da? Was … was soll ich erzählt haben?«
Sie versuchte, ihre Verblüffung mit einem Lächeln zu überspielen.
»Wir wissen beide, was Sie erzählt haben, und Ihnen ist doch klar, dass ich das nicht einfach so übergehen kann.«
»Ich habe niemanden ermordet! Wie kommen Sie darauf? Wollen Sie mir hier irgendwas anhängen? Versuchen Sie etwa gerade, mich reinzulegen?«
Seine Empörung klang aufrichtig, fand er. Und er gratulierte sich im Stillen dazu, dass es ihm bei den letzten Worten sogar gelungen war, einen fast weinerlichen Tonfall anzuschlagen.
»Was soll das jetzt?«, kam prompt ihre Antwort, schon deutlich aggressiver. »Sie wissen, dass ich das Gespräch mitgeschnitten habe, mit Ihrem Einverständnis! Und Sie wissen auch, dass ich an meine Schweigepflicht gebunden bin. Aber wenn wir irgendwie weiterkommen wollen, müssen Sie mitarbeiten, anders geht das nicht.«
»Echt, was wird das denn jetzt? Sie haben unser Gespräch heimlich aufgenommen? Das dürfen Sie doch überhaupt nicht!«
»Nicht heimlich, Sie haben Ihr Einverständnis
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