Schwestern des Mondes 02 - Die Katze-09.06.13
auf den er sich offenbar setzen wollte.
Ich zögerte, dann ging ich voran, wobei ich mich immer noch fragte, was mit mir passiert war. Würde denn keiner von uns unversehrt hier herauskommen? Ich setzte mich auf den moosbewachsenen Baumstamm.
Der Herbstkönig nahm neben mir Platz, und ich rückte so weit von ihm ab, wie ich konnte, ohne unhöflich zu werden. Er betrachtete mich. »Es ist lange her, seit zuletzt jemand dumm genug war – oder mutig genug –, mich aufzusuchen«, bemerkte er nachdenklich. »Was möchtest du wissen?«
Ich holte tief Luft. Nicht allzu tief, denn ich konnte immer noch den Rauch, die Friedhofserde und die nächtlichen Feuer um ihn herum riechen, aber tief genug, um mich zu beruhigen.
»Wir müssen etwas über eine Gruppe von Spinnlingen erfahren. Werspinnen – der Jägermond-Clan. Ihr seid Herr über alle Spinnen, deshalb dachten wir, Ihr wärt vielleicht bereit, uns zu helfen. Sie scheinen sich mit Dämonen aus den Unterirdischen Reichen verbündet zu haben, und wir fürchten, sie könnten Schattenschwinge dienen.«
Zachary überraschte mich. Er überwand seine Furcht lange genug, um sich zu Wort zu melden. »Wisst Ihr, dass sie mein Volk ermorden? Ich komme vom Rainier-Rudel, und die Spinnen schlachten uns ab.«
Der Herbstkönig blinzelte und zeigte zum ersten Mal Anzeichen von Überraschung. Er schürzte die Lippen, und eine Rauhreif-Wolke zischte aus seinem Mund und formte eine kleine Tafel aus Eis und Schnee in seiner Hand. Ich verrenkte mir fast den Hals, um einen Blick darauf zu werfen, doch alles, was ich erkennen konnte, waren ein paar seltsame Zeichen.
Einen Augenblick später zerschmolz die Tafel. »Ihr alle seid in Gefahr. Kyoka ist wieder zum Leben erwacht; er hat sich einen neuen Körper gestohlen.«
»Kyoka?«, fragte ich.
Der Herbstkönig räusperte sich. »Vor tausend Jahren war Kyoka ein Schamane, hier auf dem nordamerikanischen Kontinent. Er herrschte über seinen Stamm grausam und unbarmherzig, und letzten Endes führte seine Gier seinen Untergang herbei. Er verlor das Gleichgewicht und die natürliche Ordnung aller Dinge aus den Augen und benutzte seine Magie, um sein eigenes Volk in widernatürliche, abscheuliche Wesen zu verwandeln. Ich entließ ihn aus meinen Diensten und erklärte ihn zum Ausgestoßenen. Er hat die Natur der Spinnen geschändet.«
Er wandte sich Zach zu. »Einarr, einer deiner Vorfahren, reiste übers Meer in die Neue Welt und geriet mit Kyoka in Streit.«
»Mein Vorfahr?« Zachary blickte verwundert drein, richtete sich aber auf und hörte aufmerksam zu. Familiäre Wurzeln bedeuteten ihm sehr viel, das sah man ihm an.
»Du bist ein direkter Nachkomme von Einarr Eisenhand. Als er die Küste Nordamerikas erreichte, verlor Einarr seine erste Frau und mehrere Gefährten an die Werspinnen. Also schwor er, Kyoka aufzuspüren und zu töten. Und viele Jahre später gelang es ihm, seine Verwandten zu rächen.«
»Warum habt Ihr diesen Kyoka nicht getötet, obwohl Ihr wusstet, dass er böse ist?«, fragte Zach.
Der Herbstkönig würdigte ihn kaum eines Blicks. »Warum sollte ich? Kyoka hat das Gleichgewicht gestört, aber das tun viele Geschöpfe, viele Ereignisse. Wenn ich jedes Mal eingreifen wollte, weil das Muster zerrissen und neu gewebt wird, hätte ich keinen Augenblick Ruhe mehr.«
Morio berührte Zachs Schulter, schüttelte den Kopf und bedeutete ihm damit, nicht zu widersprechen. Zach sah nicht glücklich aus, hielt aber den Mund.
»Zurück zu unserer Geschichte«, sagte der Herbstkönig. »Um meine Hochachtung vor seiner Tapferkeit zu beweisen, machte ich Einarr ein Geschenk. Ich verlieh ihm die Gabe, sich in einen Berglöwen zu verwandeln, und all seine Nachkommen, die sein Blut in sich tragen, werden mit dieser Fähigkeit geboren und wandeln in meinem Schatten, ob sie es wissen oder nicht. Puma, Panther, Berglöwe – sie alle sind meine Kinder.«
Und da wusste ich es – ich wusste, welches Geheimnis der Herbstkönig uns nicht enthüllt hatte. »Und habt Ihr Einarr noch etwas gegeben? Ein Schmuckstück vielleicht?«
Er sah mir in die Augen, und wieder fühlte ich mich wider Willen zu ihm hingezogen. Ich wollte unter seinen Umhang kriechen, mich einkuscheln und tausend Jahre schlafen.
»Du siehst zu viel«, sagte er. »Ja, ich habe ihm eines der Geistsiegel gegeben, aber wo es jetzt ist, weiß ich nicht. Über tausend Jahre sind seither vergangen. Ich bezweifle, dass der Jägermond-Clan überhaupt weiß, wonach er sucht,
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