Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
stehen, dass ich seinen Atem im Gesicht spüren konnte.
Mit einem nonchalanten Nicken sagte das Einhorn: »Guten Abend, Lady Camille.«
Ich blinzelte und fragte mich, ob ich in letzter Zeit vielleicht ein bisschen zu viel gearbeitet hatte. Aber nein, er war noch da. Sein Fell schimmerte in diesem seidigen, leuchtenden Weiß, das nur magische Geschöpfe schmückte. Seine Augen blitzten vor Intelligenz, und sein Horn glänzte in sattem Gold. Daher wusste ich, dass ich ein männliches Einhorn vor mir hatte, abgesehen von anderen anatomischen Anzeichen, die ebenfalls nicht zu übersehen waren. Weibliche Einhörner haben ein silbernes Horn.
Je länger ich ihn ansah, desto mehr erinnerte er mich an diese verschwommen ätherischen Parfüm-Werbespots - die Sorte, bei der ich nie recht wusste, wofür genau eigentlich geworben wurde, bis der Flakon erschien und eine Stimme irgendeinen lahmen Spruch brachte wie: »Magie - erleben Sie die Faszination.«
Ich blinzelte erneut.
Er war immer noch da. Ich räusperte mich und wollte ihn gerade fragen, was er in den Straßen von Seattle zu suchen hatte, als mich ein lautes Geräusch aus der anderen Richtung erschreckte. Als ich mich umdrehte, kamen ein Goblin, eine Humberfee und ein Grottenschrat aus einer Seitengasse und marschierten auf uns zu. Sie sahen ziemlich angefressen aus.
Ich weiß, ich weiß. Gehen ein Goblin, eine Fee und ein Grottenschrat in eine Bar, und da ist dieses scharfe Weib, dem die Titten oben ...
Mein Gedanke brach mitten im Witz ab, als die Situation blitzartig von einem verwunderten Was zum Kuckuck ist denn hier los? umschlug, und zwar in O nein, das haben die doch nicht ernsthaft vor?
Der Goblin zückte ein Blasrohr und zielte auf das Einhorn.
»Rück den Pixie raus, Feddrah-Dahns, oder du bist tot!« Der Grottenschrat hatte eine sehr kehlige Stimme und sprach Calouk, den derben, gewöhnlichen Dialekt, den die meisten Bewohner der Anderwelt verstanden. Die Worte klangen undeutlich, aber die Drohung war klar.
Himmel! Ohne erst darüber nachzudenken - Einhörner waren gefährlich und schön, Goblins hingegen bloß gefährlich und dumm - schloss ich die Augen und flüsterte einen raschen Spruch in den Wind. Meine Finger kribbelten, als ein dicker Strahl Energie durch mich hindurch schoss, genährt von den Böen des beständigen Südwestwinds. Als die Kraftwelle meine Arme wieder hinablief, konzentrierte ich mich darauf, sie in meinen Händen zu einer Kugel zu formen und dem Goblin entgegen zuschleudern.
Bitte lass meinen Zauber jetzt nicht schiefgehen, flehte ich im Stillen. Meine Magie ging oft daneben, wegen meines gemischten Feen- und Menschenbluts. Ob man es nun als Kurzschluss im System betrachtete oder einfach nur als Pech - ich war nie ganz sicher, ob ein Zauber wirken würde und ob er richtig wirken würde oder ob er aus mir hervorbrechen würde wie ein außer Kontrolle geratener Hochgeschwindigkeitszug. Dieses Jahr hatte ich schon ein Hotelzimmer zerstört, indem ich mit Blitzen und Regen herumgespielt hatte. Ich war nicht begeistert von der Vorstellung, möglicherweise den Gehweg aufzusprengen und mir von den Jungs vom Straßenbauamt was anhören zu müssen.
Diesmal jedoch lächelte die Mondmutter auf mich herab, und der Zauber klappte. Der Stoß traf den Goblin mitten in die Brust und riss ihn von den Füßen, ehe er den Pfeil aus dem Blasrohr abschießen konnte. Allerdings machte mein Zauber damit noch nicht halt. Nachdem er den Goblin umgehauen hatte, prallte der magische Windstoß von der Seitenmauer meines Buchladens ab, schoss zurück, rammte den Grottenschrat und schleuderte ihn bis auf die Straße wie eine Mülltonne im Sturm.
Ich starrte auf das Chaos, das ich binnen weniger Sekunden angerichtet hatte, und schwankte zwischen leichter Verlegenheit und ungeheurem Stolz.
Ich wurde allmählich verdammt gut! Normalerweise erzielte ich keine derart durchschlagende Wirkung, schon gar nicht mit Windmagie. Vielleicht färbten Iris'
Fähigkeiten ein bisschen auf mich ab.
»Autsch!« Eine Peitschenschnur leckte an meinem Arm, ließ grellen Schmerz in meiner Haut aufflammen und riss mich aus meiner Selbstzufriedenheit. »Das hat weh getan, verdammt noch mal!«
Ich wirbelte zur Seite und sah, dass die Humberfee mit der Peitsche in der Hand auf mich zukam. Ich wich hastig ein paar Schritte zur Seite aus und sagte: »Nein, danke, ich habe kein Interesse an deinen perversen kleinen Spielchen.« Vielleicht sollte ich mich doch besser auf das
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