Schwesternkuss - Roman
eine Haarklammer fand. Mit ihr band sie ihr Haar zu einem schlampigen Knoten zusammen und sah wieder in den Spiegel.
Jetzt blickte ihr Bennie Rosato entgegen.
Bingo.
13
Anthony war der Fahrer, Mary saß neben ihm, und Judy mit ihren gelben Haaren sah auf dem Rücksitz einem Golden Retriever nicht unähnlich. »Alles Schwindel. Diese Fiorella ist die reinste Mogelpackung.«
»Ich versteh’ euch nicht«, sagte Anthony, während er den Wagen an den Doppelparkern vorbei Richtung Süd-Philadelphia lenkte. »Das habt ihr doch von Anfang an gewusst.«
»Schon. Ich habe mir aber trotzdem mehr von ihr versprochen.« Mary war noch leicht durcheinander. »Ich will nicht, dass sie im Haus meiner Eltern bleibt. Wer weiß, was sie alles im Schilde führt. Vielleicht klaut sie.«
»Genau. Ab jetzt jeden Abend das Silberbesteck nachzählen.« Anthony trat aufs Gas.
Judy meldete sich zu Wort. »Und mein Kopfweh? Sie hat es weggeblasen.«
»Da hast du Schwein gehabt. Meine Mom hätte dich noch schneller geheilt.«
»Entspann dich. Ich mag deine Mom doch viel mehr. Jedenfalls ist unser überreifes Früchtchen auf ein Techtelmechtel aus.«
»Stimmt. Sie hat es auf meinen Pa abgesehen.«
»Hoffentlich geht das gut aus.« Judy lehnte sich noch mehr nach vorne. »Wie ist Fiorella mit euch verwandt?«
»Sie gehört zur Linie meiner Mutter. Sie war, glaube ich, mit Onkel Gino verheiratet. Aber der ist tot.« Mary hatte lange gebraucht, bis sie sich damit abgefunden hatte, dass der Stammbaum ihrer Familie undurchschaubar war. Ihre Mutter hatte zwei Brüder, sie selbst aber sechsunddreißig Onkel. Bei den DiNunzios wurde man schon zum Onkel befördert, wenn man männlich und ein guter Freund der Familie und im richtigen Viertel zur Welt gekommen war.
»War Gino ihr vierter Mann?«
»Ich glaube ihr zweiter. Sie ist viel herumgekommen.«
»Wir wissen doch alle«, meinte Judy, »dass sich schwarze Witwenschleier schnell in weiße Brautschleier verwandeln.«
Mary konnte darüber nicht lachen. Sie sah zum Fenster hinaus. Die Geschäfte in der Broad Street waren schon dunkel, mit Ausnahme der Nagelstudios und der Bestattungsinstitute. Sie schienen die einzigen Läden zu sein, denen es richtig gut ging. Wer auf die Idee kommen sollte, den Toten vor der Beerdigung die Fingernägel zu schneiden, würde wahrscheinlich das Geschäft seines Lebens machen.
»Mach dir keine Sorgen.« Anthony tätschelte Marys Bein. »Hast du deiner Mom die Geschichte mit dem Fleck erzählt?«
»Nein. Ich war keine Sekunde mit ihr allein.«
»Das solltest du aber.« Anthony lenkte den Wagen Richtung Lombard. »Fiorella verdirbt auch den Hobby-Hexen das Geschäft.«
Mary blieb ernst. »Und nebenbei betet sie zu Gott, um die bösen Geister abzuwehren!«
»Ist das nicht komisch?«
»Nein«, antworteten Mary und Anthony unisono.
»Übrigens, glaubt ihr an das Böse?«
»Klar«, antwortete Mary. »Das Böse existiert. Denk nur an die Serienkiller.«
Anthony nickte. »Und an Hitler, Stalin und Pol Pot.«
»Ich glaube sogar«, behauptete Judy, »dass das Böse in jedem von uns schlummert. Es muss nur geweckt werden. Deshalb haben wir so Angst davor.«
Mary drehte sich zu ihrer Freundin um. »Das glaubst du wirklich? Und du schließt dich nicht aus?«
»Ich bin ein Mensch. Und zum Menschen gehört das Böse. Oder was meint ihr?«
Plötzlich schwiegen alle. Der Wagen musste vor einer Ampel stoppen.
»Ich hoffe, du hast Unrecht«, sagte Mary nach einer Weile.
14
Auf Bennie wartete neuer Schrecken. Die Kiste begann plötzlich zu vibrieren, und das Kratzen und Poltern wuchs zu einem ohrenbetäubenden Lärm an.
Dann hörte sie ein Knurren. Wahrscheinlich ein Tier. Hektisch schlug sie gegen den Deckel, um es zu vertreiben. Vergeblich. Das Poltern und Vibrieren wurde noch stärker. Aber sie gab nicht auf. So erbärmlich wollte sie nicht sterben.
Plötzlich kein Kratzen und Knurren mehr. Nur das Vibrieren war geblieben. Das Tier war weg, sie war noch da. Die Kiste vibrierte wie bei einem Erdbeben.
Ihre Zähne klapperten. Sie hatte keine Ahnung, was auf sie wartete. Es schien aber die Kraft eines Tornados zu haben. Mit dem Kopf knallte sie gegen die Kiste. Ein Dröhnen und Brausen, das nicht aufhören wollte. Schrie sie noch? Sie wusste es nicht. Ein riesiger Schlund schien sie verschlingen zu wollen.
15
Es war ein sonniger Morgen, hell und klar. Alice schloss Bennies Haustür zu und marschierte los in Richtung Kanzlei. Khakifarbene Shorts, ein viel zu
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