Schwesternkuss - Roman
nicht mehr lebt.«
»Bär?«, platzte es aus Alice heraus. Dann fing sie sich wieder. Bär war bestimmt noch nicht tot. Denn ein Wimmern war vom Keller her zu hören. »Nein, er lebt. Aber er klingt seltsam.«
»Da stimmt was nicht.«
»Bär, Bär, wo bist du?«, rief Alice künstlich beunruhigt und sah sich im Wohnzimmer um. Grady lief in die Küche.
»Das Geräusch kommt aus dem Keller.«
»Meinst du?«, fragte Alice scheinheilig. »Bär, Bär, wo bist du? Wo steckst du, alter Kumpel?«
»Bennie, beeil dich!« Grady rannte die Kellertreppe hinunter. »Er ist hier unten.«
»Im Keller?«
»Ich glaube, er ist verletzt.« Grady trug den erschöpften Hund die Stufen hoch. Seine Augen waren geschlossen, sein Kopf hing herab. »Armer Junge. Er lag da und winselte.«
»Um Gottes willen!« Alice gab alles in ihrer Darbietung des schockierten Frauchens. »Was ist passiert? Ist er die Treppe hinuntergefallen?«
»Muss er wohl. Wir müssen ihn zum Tierarzt bringen. Zur Notaufnahme der Uni ist es nur ein Sprung. Wo steht dein Wagen?«
»Nicht weit weg. Ich hol’ ihn.« Alice rannte aus dem Haus und lief den Gehweg entlang. Der dämliche Köter durfte nicht ihre Pläne vermasseln. »Hoffentlich kratzt er bei der Fahrt ab!« Sie startete Bennies Wagen und hielt vor dem Haus, gerade als Grady mit dem Hund auf seinem Arm herauskam. Sie stieg aus und öffnete die Hintertür. Er legte Bär auf den Rücksitz.
»Wie geht’s dir, alter Junge?« Er tätschelte das Tier. Alice vermied es, darüber den Kopf zu schütteln.
»Gut. Dann können wir«, sagte sie. Grady nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Sie trat aufs Gas und fuhr los. Da fiel ihr ein, dass sie nicht wusste, wo die tierärztliche Notaufnahme der Uni war. Die echte Bennie hätte es gewusst. Deshalb stoppte die falsche Bennie den Wagen und tat so, als wäre ihr schlecht. »Kannst du fahren? Ich bin zu durcheinander.«
»Klar. Darauf hätte ich gleich kommen können.« Die beiden wechselten den Platz. Alice wandte das Gesicht von ihm ab. Er sollte nicht bemerken, dass sie keine Tränen vergoss.
»Ich habe immer gewusst, dass dieser Tag kommen wird. Aber warum gerade heute Abend?« Grady gab ordentlich Tempo.
»Ich war mit ihm noch draußen. Dann bin ich zur Arbeit gefahren. Er schien in Ordnung zu sein.«
»Mach dir keine Vorwürfe. Er ist alt. Er hat wahrscheinlich den Halt verloren und ist gestürzt.« Grady überfuhr bei Rot eine Ampel. »Die Tür zum Keller war geschlossen. Du musst sie zugemacht haben, ohne zu bemerken, dass er da unten war.«
»Ich habe nichts gehört. Bär hat nie viel Aufsehens um sich gemacht.«
»So ein guter Hund.«
»Der beste Hund auf der ganzen Welt.« Alice fühlte sich wie die hysterische Hauptdarstellerin in einem tragischen Tierfilm.
»Mach dir keine Sorgen.« Grady steuerte den Wagen schon an den viktorianischen Häusern, in denen die Studentenverbindungen residierten, vorbei. »Du weißt, wie gut sie da sind. Als Bär den Tennisball verschluckt hatte. Erinnerst du dich?«
Nein. »Ja.«
»Sie haben ihn damals durchgebracht, und sie werden ihn heute durchbringen.« Grady lenkte den Wagen auf das Universitätsgelände. Hier waren die Straßen leer. Im Sommer waren alle weg. »Wir haben’s bald geschafft.«
Grady parkte Bennies Wagen vor der Tierklinik der Universität. »Du machst die Tür auf. Ich kümmere mich um Bär.«
»Okay.«
Durch die Lobby der Klinik eilten Alice und Grady zur Notaufnahme. Eine junge Tierärztin saß hinter der Anmeldung.
»Ein Autounfall?«
Alice schüttelte den Kopf. »Nein, er ist die Treppe hinuntergefallen.«
»War er schon mal hier?«
»Ja. Das ist Bär, er gehört mir. Ich heiße Bennie Rosato.«
»Warten Sie kurz.« Die Ärztin rannte weg. Ob Tierärzte dahinterkommen, wenn man einem Hund einen Tritt versetzt hat? So wie Kinderärzte meistens herausbekommen, wenn ihr kleiner Patient missbraucht worden ist. Ein anderer Tierarzt und sein kräftiger Assistent nahmen Grady den Hund ab. Die beiden verschwanden mit ihm sofort hinter der Tür, auf der Nur für Personal stand.
»Vielen, vielen Dank.« Alice spielte die Gerührte, die jetzt wieder voller Hoffnung war. Die Ärztin von der Anmeldung schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln.
»Wir brauchen Ihre Erlaubnis, ihn zu röntgen. So können wir feststellen, ob er einen Gegenstand verschluckt hat und ob alle Knochen noch heil sind. Wir sagen Ihnen Bescheid, sobald wir etwas wissen. Die Anmeldung machen wir später.«
»Danke. Und
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