Schwesternkuss - Roman
Tony, der Täuberich, schaute mit seinen Eulenaugen verständnislos in die Runde. Würde er die Landessprache beherrschen, hätte er Mary wohl eine Spaßbremse genannt.
»Aber ich will wissen, was ihm in der Zukunft blüht«, sagte Bohnenstange.
»Ich auch.« Tony LoMonaco zog die Stirn kraus. »Mädchen, du machst den ganzen Zauber kaputt.«
Nur Fiorella blieb ruhig. »Mariano, wir machen weiter, wenn du zurückkommst.«
Der ließ sich nun von seiner Tochter aus der Küche ziehen, durch Ess- und Wohnzimmer hindurch, bis sie draußen vor dem Haus auf dem Treppenabsatz in der brütenden Sonne standen. Pa roch nach Eau de Cologne, dabei war heute kein gebotener Feiertag.
»Pa, was denkst du dir eigentlich? Du kutschierst Fiorella durch die Gegend, sie spielt mit deinen Händen herum. Und was ist mit Ma?«
»Was soll mit ihr sein?« Pa zuckte mit den Achseln. Er trug das weiße Hemd, das er immer zum Kirchgang anzog. »Deine Ma wollte, dass ich Fiorella fahre.«
»Ich habe euch beide in einem Restaurant gesehen. War das auch Mas Idee?«
»Nach dem Krankenhaus wollte sie was essen. Was ist da schon Großes dabei?« Pa sah blinzelnd in die Sonne.
»Fiorella will dich zum Ehemann Nummer sechs.«
» SPINNST DU? EINEN FETTSACK WIE MICH ! Da hat die ganz andere Chancen.« Pa rieb sich seinen Spaghetti-Bauch.
»Das ist nicht der Punkt. Von wegen die Zukunft vorhersagen! Sie will nur deine Hand berühren. Sie flirtet mit dir … Und du mit ihr auch!«
» ICH HOFFE, ICH KANN EINES TAGES VERGESSEN, WAS DU EBEN GESAGT HAST .« Pa fuchtelte jetzt wutentbrannt mit dem ausgestreckten Zeigefinger. Hatte sie je mit ihrem Vater auf offener Straße so gestritten? Die Nachbarn, die gerade ihre Eingangstreppen mit dem Gartenschlauch reinigten, drehten sich um.
» BASTA !« Pa drohte ihr mit der Hand Schläge an. Dann verschwand er hinter der Fliegengittertür.
Mary war jetzt allein mit den Nachbarn. Sie kam sich überhaupt nicht mehr reposado vor.
32
Bennie öffnete die Augen und sah in weißes Licht. Es war so grell, dass es schmerzte. Sie wusste nicht, wo sie war. Sie zwinkerte mit den Augen. Der Husten hatte aufgehört, sie rang auch nicht mehr nach Luft. Sie lag still da und konnte atmen. Aber es roch noch immer nach Urin und Schweiß. Also war sie noch in der Kiste. Vielleicht kam das Licht von einem Loch im Deckel.
»Wie wunderbar«, hörte sie sich sagen. Dem Tier musste es gelungen sein, ein Loch zu schlagen. Sie war verwundert und dankbar. Ihre rechte Hand führte sie vor den Augen auf und ab. So wurde es dunkel, so wurde es wieder hell. Sie hob die Hand in die Höhe, um das Licht einzufangen. Dann spreizte sie leicht die Finger, und ein heller Strahl traf sie mit voller Macht.
Das ist die Sonne!
Sie versuchte nachzudenken. Die Kiste musste irgendwo im Freien stehen, das Tier war weg. Wenn es nachtaktiv war, würde es heute Abend wiederkommen. Kurz streifte sie eine Furcht, die sie schon kannte. Sie schlug gegen das Loch. Ein Schmerz durchzuckte den Arm. Sie ignorierte ihn. Wenn das Loch von dem Tier stammte, würde sie es größer machen. Und zwar bevor es zurückkam. Das war ihre einzige Chance.
Sie schlug mit den Händen gegen das Loch. Sie hörte nicht auf, obwohl es entsetzlich wehtat. Sie hatte weder Hunger noch Durst. Sie dachte nur an die Sonne und ans Überleben.
33
Die Sonne schien zum Schlafzimmerfenster herein, als Alice die Augen öffnete. Sie vergrub den Kopf wieder unter dem Kissen, da fiel ihr ein, dass Grady hier übernachtet hatte. Sie drehte sich um, aber seine Bettseite war leer. Sie sah im Badezimmer nach. Niemand. Sie sah auf die Uhr.
Verdammt!
Sie hatte verschlafen. Dabei sollte sie sich wegen des Hundes doch unendlich viel Sorgen machen. Und langes Ausschlafen passte überhaupt nicht dazu. Sie sprang aus dem Bett, hinein in ein frisches Bennie-Outfit, rannte die Treppe hinunter und schüttelte dabei die Haare auf. Unten roch es nach Speck. Sie rieb sich die Augen und betrat mit langsamen Schritten die Küche.
»He, du.« Grady kam auf sie zu und umarmte sie. Er trug heute Morgen Jeans und ein marineblaues Lacoste-Hemd, was seine schmale Taille richtig zur Geltung brachte. Er sah so sexy aus, dass sie ihm beinahe seine Unpässlichkeit gestern Nacht verziehen hätte.
»Ich hatte solche Kopfschmerzen. Ich habe kaum geschlafen.« Alice löste sich aus der Umarmung und mimte die Schmerzensreiche. »Deshalb muss ich verschlafen haben. Ich will doch in die Klinik.«
»Entspann dich. Ich
Weitere Kostenlose Bücher