Schwesternkuss - Roman
»Ich bewundere dich dafür.«
Grady trat aufs Gas und zog sein Handy aus der Hosentasche. »Mist. Meine Batterie ist leer.«
Als ob ich das nicht wüsste.
»Ich habe sie gestern Abend nicht aufgeladen. Hast du dein Handy dabei? Ich möchte in der Klinik Bescheid sagen, dass sie auf mich warten.«
»Eine gute Idee.« Alice suchte ergebnislos in Bennies Tasche herum. »Ich habe es in der Eile heute Morgen vergessen.«
»Macht nichts. Wir sind ja bald dort.« Keine fünf Minuten später parkte Grady wieder vor der Tierklinik.
»Und du bist wirklich okay?«
»Ja.«
»Ich sag ihm, dass du ihn liebst.«
»Dank dir.« Alice hing das Gesülze um den Hund zum Halse heraus. »Verzeih, dass ich nicht mitkomme.«
»Versuch dich zu entspannen.« Grady gab ihr einen Kuss und verschwand hinter dem Eingang zur Klinik.
Alice seufzte erleichtert. Sie schaltete das Radio ein und fand eine Radiostation, die Usher, Justin Timberlake und Ludicris spielten. Alice brachte den ganzen Wagen zum Rocken, denn das war geile Musik für ihr Ohr. Nach einer Weile tauchte Grady in der Ferne der Eingangshalle wieder auf. Sie schaltete schnell das Radio aus und spielte die Dösende. Sie tat so, als wachte sie gerade auf, als Grady die Fahrertür öffnete.
»Unglaublich«, sagte sie schläfrig. »Ich muss eingeschlafen sein.«
»Das ist die Erschöpfung.« Grady umarmte sie. Seine Wangen waren feucht.
»War es schlimm?«
»Reden wir jetzt nicht darüber.« Gradys Stimme klang rau. »Schlaf weiter. Ich bringe dich nach Hause.«
»Ich bin mit allem einverstanden.« Alice lehnte sich zurück und sah zum Fenster hinaus. Schweigend fuhren sie nach Hause.
Wir reden nicht miteinander, schlafen nicht miteinander, wir sind ein nahezu perfektes Ehepaar.
40
Mary rutschte auf ihrem Bett hin und her. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Der Laptop war so heiß gelaufen, dass sie ein Kissen zwischen ihn und ihren Schoß hatte legen müssen. Der Bildschirm erhellte das Zimmer, in dem es allmählich dunkel wurde. Sie las den Schriftsatz noch einmal durch und lehnte sich mit einem Seufzer der Erleichterung zurück.
Verdiene ich es überhaupt, Teilhaberin zu werden?
Sie legte Computer und Kissen beiseite und griff nach ihrem Kaffee. Aber der war schon lange leer. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie zu lange an dem Text gesessen hatte. Schließlich musste sie sich noch um die eigenen Fälle kümmern. Sie schrieb Bennie eine E-Mail.
Im Anhang der Schriftsatz. Sag mir, was du davon hältst. Danke für deine freundlichen Worte heute.
Sie unterschrieb mit »Alles Gute, Mary.« »In Liebe, Mary« wäre ein Grund gewesen, sie zu feuern. Sie dachte an Anthony. Vielleicht wartete er darauf, dass sie endlich mit der Arbeit aufhörte. Sie checkte ihr Handy. Keine Mails, keine SMS, keine Anrufe. Er war zu feige, um sich zu melden. Oder er versuchte sich runterzucoolen. Oder er lag schon schnarchend im Bett.
Die Business-Karte der Maklerin lag auf der Tagesdecke. Sie fuhr mit dem Daumen über die blauen Buchstaben im Prägedruck. Das Haus war spitze. Sicher, sie musste an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten gehen. Aber selbst ihr Vater würde das gutheißen. Doch bedeutete der Hauskauf nicht das Ende für sie und Anthony?
Wie sehr sie ihn doch liebte! Sie wollte mit ihm leben. Und manchmal wollte sie ihn auch heiraten. Er war etwas Besonderes. Die vielen Jahre des Suchens hatten sie gelehrt, dass man leichter ein gutes Haus als einen guten Mann findet. Warum ihn für vier Wände und ein Dach aufgeben? Um Spaghetti und Fleischklößchen zu kochen, brauchte sie keine Gourmet-Küche.
Aber warum muss ich ihn um Erlaubnis fragen, wenn ich mir etwas kaufen will, was mir gefällt?
Groll stieg in ihr auf. Und der würde wachsen und gedeihen, falls sie den Hauskauf ad acta legte. Und eines Tages würde sie Anthony für diese Entscheidung die Schuld zuschieben. Sie sah auf die Business-Karte und griff nach ihrem Blackberry.
Und staunte über sich selbst.
41
Bennie war noch wackelig auf den Beinen, als sie aufstand. Der Mond überraschte sie mit seinem hellen Schein. Die Luft war klar und sauber. Eine Brise streifte ihren geschundenen Körper und fuhr durch ihre zerfetzte Kleidung. Sie wischte sich Blut, Schmutz, Schweiß und Tränen aus dem Gesicht und sah sich um.
Keine Häuser in Sichtweite. Das geschnittene Gras lag zu Heuballen gepresst auf dem Feld. In der Ferne waren eine lange Baumreihe und landwirtschaftliches Gerät zu erkennen. Sie
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