Schwesternkuss - Roman
»Setzen Sie sich doch.«
»Danke.« Sie und Grady nahmen in Schalensitzen aus Plastik Platz. Eine ältere Dame mit einer Transportbox für Katzen auf ihrem Schoß wartete neben ihnen. Eine Wand war übersät mit Erinnerungsfotos an Hunde und Katzen. Die wären schon mal weg, sinnierte Alice bösartig.
»Lies nicht, was unter den Fotos steht. Das macht dich traurig«, empfahl ihr Grady.
»Ich weiß.« Mich erheitert es eher.
»Eigentlich wollte ich heute Abend zurückfliegen. Aber viel lieber würde ich noch ein paar Tage bei dir bleiben. Wenn Bär das Leben wieder lernt, kann ich mich doch nicht einfach aus dem Staub machen.«
Kannst du doch! »Du hast keine Termine?«
»Doch, morgen in Pittsburgh. Angestellte, die ihren Verlag übernehmen. Aber da könnte ein Kollege einspringen. Und was die anderen Sachen betrifft, ich habe mein Laptop dabei. Ich kann überall arbeiten.«
Alice erinnerte sich an den Satz, dass man sich seine Feinde warmhalten soll. »Du willst wirklich bleiben?«, fragte sie mit aufgesetzter Dankbarkeit.
»Aber klar.« Grady lehnte sich zu ihr rüber und küsste sie auf die Wange. Da gingen die Schwingtüren auf, und ein Arzt mit Klemmbrett in der Hand erschien. Sein Blick war sehr ernst, was Alice hoffen ließ.
»Wie geht es ihm?« Beide standen auf. Grady legte einen Arm auf ihre Schulter.
»Bitte setzen Sie sich doch. Bitte.«
Schlechte Nachrichten! Alice ließ sich in den Stuhl sinken.
»Er hat vom Sturz ein Hämatom an der Milz. Wir haben es erst bei der Ultraschalluntersuchung entdeckt. Wenn wir ihn operieren, kann es bei einem Hund in seinem Alter zu ernsthaften Komplikationen kommen. Ob er die OP überlebt, kann ich nicht versprechen. Sie ist auch teuer, zwischen drei- und fünftausend Dollar.«
Lassen wir das. Setzt ihm die Todesspritze. Ich assistiere gerne.
»Laut unseren Unterlagen haben Sie keine Versicherung. Ich weiß nicht, ob Sie so viel Geld ausgeben wollen.« Der Arzt blickte ihr ernst in die Augen. »Sie können ihn einschläfern lassen oder das Risiko einer Operation eingehen und auf ein gutes Ergebnis hoffen. Die Chancen sind allerdings nicht sehr hoch. Eine schwierige Entscheidung.«
»Was würden Sie an meiner Stelle tun?«
»Das fragen alle.« Der Tierarzt lächelte traurig. »Bär ist nicht mein Hund. Aber ich weiß, dass Sie ihn lieben. Jede Entscheidung, die Sie treffen, wird richtig sein.«
Die Sache ist geritzt. Daumen nach unten!
»Können wir ihn sehen?«, fragte Grady.
»Natürlich. Wenn Sie sich für das Einschläfern entscheiden, können Sie dabei sein.«
So eine Zeitverschwendung.
Der Doktor führte sie vom Wartezimmer in einen großen Raum mit Untersuchungstischen und medizinischem Gerät. Die Tiere waren in Käfigen untergebracht.
»Wo ist er?«, fragte Grady. Alice hielt sich zurück. Sie spielte das leidtragende Frauchen.
»Hier.« Der Arzt zeigte auf einen der großen Käfige, die auf dem Boden standen. Bär lag auf einer weißen Decke. Seine Augen waren geschlossen. Vom linken Vorderbein führte ein Plastikschlauch zu einer Flasche außerhalb des Käfigs. Er schien dem Tod nahe zu sein, was Alice freute.
»Armer Junge.« Grady kniete sich vor den Käfig.
Alice versuchte zu weinen.
»Bär.« Grady rief ihn mit leiser Stimme. Der Hund hob langsam den Kopf und sah sie an. Plötzlich drehte das Tier durch. Bär begann vor Angst zu bellen. Er versuchte aufzustehen. Seine Hinterbeine fielen scherenartig auseinander, die vorderen verfingen sich in der Decke, der Plastikschlauch wurde herausgerissen.
Alice wusste, dass sie der Grund war, warum das Tier verrücktspielte.
»Grady, weg da«, sagte Alice. »Er erinnert sich nicht mehr an dich. Du regst ihn auf. Gehen wir hier raus.« Sie zog Grady am Arm zurück ins Wartezimmer.
»Das tut mir leid.« Grady hatte einen hochroten Kopf bekommen. »Gestern Abend hatte ich das Gefühl, dass er mich kennt.«
»Gestern Abend war er kaum bei Bewusstsein. Mach dir bitte keine Vorwürfe. Vielleicht liegt es auch an den Medikamenten.«
»Nein, es war wegen mir.« Grady zog eine Schnute wie ein kleiner Junge. Alice hätte ihn am liebsten abgeknutscht, Zunge inklusive.
»Es war nicht dein Fehler.«
»Doch. Ich hätte draußen bleiben sollen. Er sah nicht gut aus, oder?«
»Er sah schrecklich aus.«
»Er scheint über Nacht noch mehr gealtert zu sein. Wenn das möglich ist. Wie alt ist er?«
»Du hast ihn lange nicht gesehen. Er ist wirklich alt geworden.«
»Der arme Kerl.« Grady umarmte
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