Schwiegermutter inklusive. Einen Mann gibt es selten allein (German Edition)
Ingrid in diesem Moment zur Erklärung.
"Du hattest ja solche Verspätung und wir essen gern pünktlich."
"Ja,
schade, dass das mit dem Abholen nicht geklappt hat", säuselte ich zurück,
um darauf hinzuweisen, dass die Verspätung nun wirklich nicht meine Schuld war.
Und wie sie das nicht war, wie ich
nun erfahren sollte!
"Ach,
weißt du, Mandy, mein Rigolettochen ist einfach so
ein Schatz und hat für mich noch meine Hustenbonbons aus der Apotheke geholt.
Ich habe so ein ganz leichtes Kratzen im Hals und hatte etwas Sorge, dass es
heute Nacht vielleicht schlimmer werden könnte. Da habe ich vorsorglich lieber
ein Hustenbonbon genommen und ich schwöre nun mal auf die Bonbons aus der kleinen
Apotheke in Unter-Oberstein. Leider hat es dann nicht mehr zum Abholen
gereicht. Einen richtigen kleinen Vorrat hat er für mich geholt, der liebe
Junge."
Erstaunt blickte ich den „lieben Jungen“ an, der dies allerdings
nicht zu bemerken schien und einen Schluck aus seinem Weinglas nahm. Ich
überlegte kurz, ob es irgendwie möglich war, dass ich etwas falsch verstanden
hatte. Dann musste ich mir eingestehen, dass ich vier Stunden bei Eiseskälte
und Nieselregen auf Bahnsteigen und in Bimmelbahnen verbracht hatte, weil meine eventuelle Schwiegermutter ihre
Lieblings-Hustenbonbons aus der Apotheke in irgendeinem
Ober-Unter-Neben-Steindorf für den eventuellen Fall, dass sie nachts mal Husten
musste, brauchte.
Damit nicht genug: Weil ich deswegen zu spät angekommen war, hatte
man schon ohne mich ein Abendessen eingenommen, das offensichtlich so
reichhaltig gewesen war, dass die gesamte Familie noch nicht die Kraft gefunden
hatte, die leeren Teller abzuräumen.
"Ich
habe meiner Mutter gesagt, dass du gerne Schinkenbrote isst, da hat sie dir
natürlich eins gemacht. Falls du Hunger hast", lobte der liebe Junge seine
Mutter und lächelte mir beschwichtigend zu.
Er hatte wohl mal kurz von seinem Weinglas hochgesehen und das
schiere Entsetzen in meinem Gesicht bemerkt.
"Das
ist so nett, ich liebe Schinken!", sagte ich mit neuem Enthusiasmus.
Ich hatte beschlossen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und so zu
tun als wäre nichts. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Ich konnte ja
schlecht am ersten Abend mit meinem Schwiegereltern beleidigt aufstehen und ins
Bett gehen. Zumal ich nicht wusste, wo mein Bett überhaupt stand.
Erleichtert wurde mein Entschluss durch die Tatsache, dass der
Schinken ungefähr so dick geschnitten war wie das Brot, auf dem er lag und mein
Messer auch ein Löffel hätte sein können, so unscharf war es. Ich war erst mal
damit beschäftigt zu versuchen, den Schinken klein zu kämpfen und dabei
einigermaßen elegant auszusehen. Leider war alles, was ich erreichte, dass das
Brot unter dem unkaputtbaren Schinken heillos und
höchst unelegant zerbröselte. Damit war auch die Möglichkeit, das Schinkenbrot
mit der Hand zu essen dahin. Während ich meinen aussichtslosen Kampf gegen den
Schinken führte, erstarb die Unterhaltung bei Tisch und alle starrten gebannt
auf das Schlachtfeld auf meinem Teller. Ich sah nur noch eine Möglichkeit, mich
aus der Situation zu retten. Beherzt spießte ich die Scheibe Schinken mit
meiner Gabel auf und steckte sie mir mit etwas Mühe komplett in den Mund.
„Problem gelöst!“, dachte ich fröhlich, auch wenn ich leichte Schwierigkeiten
hatte, mit meinem übervollen Mund zu kauen und Luft zu bekommen.
„ Mandylein , möchtest du vielleicht ein Glas Wein?“, fragte
Ingrid in diesem Moment mit zuckersüßer Stimme und ich hätte schwören können, ich
sah ein kurzes, teuflisches Grinsen durch ihr Gesicht zucken.
Da hatte sie mich allerdings unterschätzt. Ich ließ mir von einem
stumpfen Messer und einem toten Stück Schwein nicht den guten Eindruck bei
meinen möglichen Schwiegereltern kaputtmachen. Ich würde nicht mit vollem Mund
sprechen! Beherzt schluckte ich die gesamte, unzerkaute Scheibe Schinken
herunter. Nun wusste ich endlich, wie eine Schlange sich fühlte, nachdem sie
ein komplettes Eichhörnchen mit einem Bissen verschlungen hatte: Nicht gut.
Mein Hals schmerzte schrecklich. Mit letzter Kraft und Tränen in den Augen,
aber mit leerem Mund sagte ich:
„Ja,
gerne.“
Ingrid nahm die Flasche Weißwein, die neben ihr auf dem Tisch stand
und schüttelte sie leicht.
"Ach,
schon leer.",
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