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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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hängen.
    Â«Luanne, die Aschenbecher sind im Geschirrschrank», sagte Mutter. «Über dem Kühlschrank.» Sie sprach langsam, bewegte vorsichtig die Lippen.
    Robert sprang auf, hielt sich die Ohren zu. «Diese Familie ist unerträglich!» Er rannte heulend nach oben. Ängstlich und überdreht, wie Robert war, brachen die Worte immer einfach so aus ihm heraus, seit er sich mit drei das Lesen beigebracht hatte. Wir hörten seine Schritte über unseren Köpfen, dann das Knallen der Zimmertür. Mutter presste die Lippen zusammen, bis sie weiß wurden.
    Â«Irene, reich mir das Buch.»
    Sie gehorchte.
    Â«Sarah, sag Robert, er soll wieder runterkommen. Ich habe ihm nicht erlaubt aufzustehen.» Vater nahm sich einen Cookie und schob ihn sich in den Mund. Seine Wangen beulten aus, verformten sich zu Miniaturfäusten. Ein paar Krümel blieben ihm in den Mundwinkeln hängen.
    Â«Und zwar gleich.»
    Ich rutschte vom Stuhl. Wir alle kannten Vaters Regel. Familien, die gemeinsam aßen, standen auch gemeinsam vom Tisch auf. Wer diese Kardinalregel nicht befolgte, riskierte, bestraft zu werden. Ich hatte Angst um Robert, der oben in seinem Zimmer auf der Bettkante hockte und ein Buch las. Seine dunklen Haare standen wild in alle Richtungen, genau wie seine Gedanken.
    Â«Du dringst in meine Privatsphäre ein», sagte er.
    Â«Dad will, dass du nach unten kommst.»
    Â«Ich lese.»
    Â«Komm einfach mit runter», versuchte ich ihm als große Schwester zu raten, «oder er dreht wieder durch.» Ich war drei Jahre älter als Robert und wusste, wenn ich stehen bliebe, würde er sich zumindest so weit beruhigen, dass er meinen Ratschlag in Erwägung zog. Er knetete und lockerte die Schultern, schob dann das Buch unters Bett und folgte mir nach unten.
    Mittlerweile war es stockfinster draußen, und die große kugelförmige Leuchte über dem Esstisch spiegelte sich wie ein aufgeblasener Fisch in den Fensterscheiben.
    Robert stand direkt vor Vater.
    Â«Ohne meine Erlaubnis», sagte Vater und verpasste Robert eine Ohrfeige, «stehst du nicht vom Tisch auf.
Jetzt
darfst du gehen.»
    Robert brach in Tränen aus und stürzte erneut die Treppe hinauf. Vater ging in sein Arbeitszimmer und schlug die Tür zu. Elliot fing an zu summen. Wie gelähmt von meinem ungewollten Verrat an Robert, saß ich reglos da.
    Â«Elliot, Zeit fürs Bett. Sarah, Peter, ihr habt noch Hausaufgaben zu erledigen», sagte Mutter.
    Â«Das kann doch nicht dein Ernst sein!», sagte Peter und stieß den Stuhl zurück.
    Beschämt und verschreckt von dem, was ich getan hatte, ging ich nach oben in mein Zimmer, setzte mich an den Schreibtisch und starrte zum Fenster hinaus auf die weinende Hängebirke, die im Dunkeln über der Einfahrt kauerte. Später am Abend klopfte ich an Roberts Tür, um mich zu entschuldigen, aber er ließ mich nicht herein. Er hatte den Schreibtisch vor die Tür geschoben.
    Â«Es tut mir wirklich leid», sagte ich durchs Schlüsselloch.
    Ich ging ins Bett und lag noch lange wach, mein schmerzender Bauch wollte sich nicht beruhigen. Das Flurlicht schien in mein Zimmer. Ich versuchte es mit Summen. Das Vibrieren der Noten beruhigte meine Nerven. Ahhh, ooooo, eeeee.
Oh Lord, show me the bridge.
Ich ahmte nach, wie Luanne die Lippen formte, und spürte den Tonwechsel an meiner Zunge, dann ein Vibrieren entlang der Wangenknochen.
    Ich schaute raus auf die Baumkronen, auf schlanke hohe Kiefern, die wie schweigende Gestalten zurückstarrten, und auf den lang gestreckten Garten hinterm Haus, der sich bis zu den Sternen wölbte. Das helle Mondlicht fiel schimmernd auf die Dielen, ließ den Boden schmelzen, bis er zu einem See zusammengeflossen war. Ich dachte mir Lieder aus. In diesem Universum fern von Vaters Ausbrüchen und Mutters dünner Stimme, stellte ich mir vor, allein auf einer Bühne zu stehen und vor einem Publikum aus lauter verständnisvoll aussehenden Gesichtern zu singen.
Come and see what I see.
    Ich sang dem Mond vor, dem Flurlicht und dachte daran, wie sich die Sonne an warmen Tagen in mein Zimmer stahl und es in honigfarbenes Sommerlicht tauchte. Ich summte vor mich hin, wechselte von hohen zu tiefen Tönen, rollte sie auf meiner Zunge hin und her. Singen war wie Essen. Es füllte ein hungriges Loch.

2. Kapitel
Schwarze Hausmädchen
    In der Küche schnippelte Luanne grüne Bohnen für das

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