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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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beschäftigen.
    Am darauffolgenden Samstagnachmittag klingelte Luanne, um ihre restlichen Sachen abzuholen. Vater öffnete die Tür.
    Â«Willst du gleich mit durchbrennen, oder warum rennst du so?», fragte er, als ich die Treppe hinabgestürzt kam, um Luanne zu sehen.
    Als ich sie rief, war sie mit dem Koffer schon wieder auf dem Weg zur Haustür.
    Â«Leonard, bitte», sagte Mutter, die neben ihm stand. «Luanne, bist du sicher, dass du alles hast?»
    Sie nickte zaghaft und ging zur Tür.
    Â«Du wirst mir fehlen», wollte ich sagen. Stattdessen sagte ich, «Tschüss, Luanne» und schaute beschämt zu Boden.
    Sie ging durch die Haustür und eilte den Plattenweg hinunter. In einem weißen Dodge Dart saß ein schwarzer Mann und wartete auf sie. In letzter Sekunde ging ein Ruck durch mich, und ich rannte zur offenen Tür und rief: «Es tut mir leid!» Aber meine Worte waren nur ein Flüstern, das bloß ich hörte. Unterdessen saß Luanne schon auf dem Beifahrersitz und schloss die Tür. Der Wagen brauste unsere Straße hinunter, hinter ihm eine aufgewirbelte Wolke aus Abgasen und Staub.
    Â«Komm rein, Sarah. Es ist kalt draußen. Du hast keine Schuhe an», sagte Mutter.
    Ich ging zurück auf mein Zimmer und knallte die Tür zu. Ein stechender Schmerz schoss mir von der Brust in den Bauch. Ich lehnte am Fensterbrett und versuchte, mir selbst ein Wiegenlied zu singen –
Kumbaya My Lord
– drang es tief aus meiner Kehle. Wo war Luanne jetzt? Würde sie überhaupt an mich denken? Meine Vorstellungskraft ließ mich im Stich. Es fühlte sich an, als würde mir das Herz auf die Lunge drücken. Trotzdem wollten die Tränen nicht aufsteigen oder aus mir herausfließen. Auf der Suche nach Luannes stillem, freundlichen Wesen ging ich wieder nach unten zu ihrer verschlossenen Tür. Ich drehte den Türknopf und ging hinein. Das Bett war leer. Der Boden leer. Alles leer.
    Mutter hörte mich. «So ist das eben manchmal», sagte sie vom Flur aus, wo sie vor Luannes altem Zimmer stehen geblieben war. «Es ist wirklich schade, aber es gibt nichts, was wir tun können.» Sie drehte sich um und ging in die Küche.
    Unter der Woche füllte Mutter die Tage mit Bridge und Verabredungen zum Mittagessen. Donnerstags ging sie zum Friseur, freitags erledigte sie die Einkäufe. Gelegentlich schrieb sie sich in einen Kurs zum Blumenbinden ein oder übte zusammen mit Freundinnen aus dem Country Club Kreuzstich-Stickerei. Das ging nicht lange so. Ihre rheumageplagten Finger verweigerten derart filigrane Nadelarbeiten. Aber ich habe ein Kissen, das sie bestickt hat: ein grünweißes Schachbrettmuster auf grünem Filzuntergrund. Es ist nichts Grandioses, aber ich halte das Kissen in Ehren.
    All diese Dinge ersetzten das musikalische Leben, das sie einst geführt hatte, die Geigenabende und die Konzerte am College; die in den Geigenstunden und Proben erforderliche Disziplin wurde vom Bedürfnis nach klarer Ordnung im Haus ersetzt; das Bedürfnis, vor Publikum zu spielen, von dieser Art gemeinschaftlicherZusammenkünfte abgelöst, eine Möglichkeit, ihre sozialen Kontakte nicht ganz aufzugeben. Etwas anderes in ihr wollte aber aufgeben. Nur wusste ich das damals nicht.
    ~~~~~~~~~~~
    Nach Luanne kamen und gingen verschiedene andere schwarze Hausmädchen. Keine blieb länger als ein paar Monate. Ein weißes Hausmädchen aus Irland ging nach fünf Tagen. Keine ersetzte Luanne. Dann trat Dora, ein weiteres schwarzes Hausmädchen, die Stelle an. Sie war anders. Sie war übergewichtig, plump und ruppig. Sie kam aus Florida und machte sich nichts aus Ohrringen und Gesang. Sie sagte: «Mich täuschst du nicht. Ich habe fünf erwachsene Kinder.» Sie sah mich an, als würde ich etwas verbergen, und als würde sie schon herausfinden, was es war. Aber nicht, indem sie mich zu sich ins Zimmer einlud. Ihre Tür war zu. Sie war effizient, und das auf die Minute. «Wenn ich dir sage, du sollst dir die Hände waschen, dann machst du das sofort», sagte sie. «Dein Abendessen steht bereit. Ich serviere das Essen nicht heiß, damit es dann kalt gegessen wird. Hast du gehört?» Sie sprach so, als wüsste sie alles über das Leben, als könne nichts sie schockieren, als hätte sie alles schon mal erlebt.

3. Kapitel
Irgendwo ein gelobtes Land
    Ich rannte die Steintreppe zum Auto hinunter, denn

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