Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
sollen.
Das wäre einfach nur richtig gewesen.
Falsch.
Wieder schwanden ihr die Sinne. Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch es gelang ihr nur, sich auf den Bauch zu rollen. Auf den Ellenbogen begann sie, sich aus dem Wasser zu ziehen. Ihre Kleidung war schwer wie Blei. Wasser floss ihr aus dem Haar über das Gesicht in den Kragen. Wasser und Tränen.
Sie unterdrückte ein Weinen.
„Clarissa!“, klagte sie, als ihr Erinnerungsvermögen ihr ein weiteres Geheimnis preisgab. Sie hatte Clarissa verloren. Konstanze hatte einen Fehler gemacht, als sie sich keinen leisten konnte.
„Clarissa!“
Keine Antwort. Sie war allein.
Behutsam berührte sie ihr Haupt. Ein Feuerwerk schien darin zu explodieren, allerdings kein sehr hübsch es. Sie konnte sich nur noch an eine Faust erinnern.
Wo war sie? Wahrscheinlich war sie in der Nähe des Schiffsanlegeplatzes in den Fluss gefallen oder geschubst worden. Dann musste sie stromabwärts sein. Warum war sie nicht ertrunken? Wenn man bewusstlos ins Wasser fiel, ertrank man gemeinhin. Doch sie lebte. Fast erfroren, mit hämmerndem Schädel – aber lebendig.
Sie versuchte aufzustehen, doch ihr wurde schlecht, und sie fiel seitlich auf das glitschige Steinufer und rollte sich zusammen. Das war nicht gut. Sie würde erfrieren, wenn sie hierblieb. Außerdem musste sie zur Polizei, von Clarissas Entführung berichten.
Nur, konnte sie das überhaupt? Rein rechtlich hatte auch sie schon Clarissa entführt, und nun hatte sie sie an eine Bande Krimineller verloren.
Man hatte versucht, sie umzubringen.
Das jähe Begreifen, dass sie nur knapp mit dem Leben davongekommen war, erschütterte sie, und sie würgte vor Widerwillen. Auf den Kopf geschlagen und wie eine Katze ertränkt. Wofür? Geld? Clarissa?
Wahrscheinlich beides. Konstanze war nicht naiv. Sie wusste, dass die Welt voller Laster war. Bislang hatte sie das Glück gehabt, dieser Seite des Lebens nicht zu begegnen, und obgleich der Tod ihres Vaters sie ihre soziale Stellung gekostet hatte, war sie doch bislang nie etwas so abgrundtief Bösem begegnet. Bislang war sie Opfer der Umstände gewesen, aber kein Mordopfer.
Sie quälte sich das Ufer hoch, schlotternd vor Kälte. Ihr wurde klar, dass sie aufhören musste, sich der Verzweiflung hinzugeben. Sie musste etwas tun, musste zurück nach Passau, um die Behörden einzuschalten. Das Bild des Angreifers verschwamm ihr vor den Augen. Abermals versuchte sie aufzustehen. Ihre nassen Stiefel rutschten auf den matschigen Steinen, und sie landete mit einem Aufschrei auf dem Boden.
Plötzlich hörte sie das Flattern großer Schwingen. Schwarze Punkte stießen vom Himmel herab, kreisten über ihr. Sie waren nicht besonders nah, doch Konstanze zog den Kopf ein. Kolkraben. Riesenhafte Unglücksbringer. Aasfresser, soweit sie wusste. Waren sie schon hinter ihr her?
Nein! Sie war noch nicht tot. Sie sollte aufspringen, sie fortscheuchen. Das konnte nicht so schwierig sein – es waren nur Vögel.
Stattdessen verbarg sie furchtsam den Kopf in ihren Armen. Was sollte sie tun, wenn die Raben sie angriffen? Würden sie mit ihren scharfen Schnäbeln auf sie einhacken?
Irrationale Angst nahm ihr fast den Atem. Sie hätte am liebsten geschrien, doch ihre Erziehung verbot ihr, sich in hirnloser Panik zu verlieren – oder doch wenigstens, allzu ungehörig laut dabei zu sein.
Lächerlich. Sie war eine mutige Frau und weigerte sich, sich vor Vögeln zu fürchten, egal wie groß sie waren und was sie am liebsten aßen. Sie musste nur aufstehen und Hilfe holen. Clarissa brauchte sie. Was immer ihr geschah, Konstanze trug für immer die Schuld daran.
Etwas berührte federleicht ihr Haar.
Sie schrie und fuhr herum. Ein Paar Arme hielt sie. Jemand umfasste sie und zog sie hoch. Einen Augenblick lang war die Umarmung heimelig warm. Dann begriff Konstanze, dass die Arme einem Fremden gehörten, der kein Recht hatte, sie anzufassen. Sie wehrte sich, doch der Griff wurde nur fester. Sie spürte den Stoff eines Umhangs an ihrer Wange, weich und seidig.
Sie sah nichts. Mit einer Hand hielt er ihren Kopf gegen seine Schulter gepresst, vergrub ihr Gesicht an seinem hageren Leib.
Nun wehrte sie sich erst recht. Nach einer Weile ließ er sie los, um sie gleich wieder zu packen. Diesmal ergriff er ihre Handgelenke. Seine Hände waren sehnig und hart.
In der hereinbrechenden Dunkelheit war er kaum zu erkennen. Sein schwarzer Umhang und seine Kapuze hüllten ihn fast vollkommen ein. Alles, was sie
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