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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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hätte, wäre er dorthin umgesiedelt.
    Aber er konnte nicht. Seine Seele, sein Leib und sein Sehnen zogen ihn unweigerlich zum Wald zurück. Die längste Abwesenheit, die er sich erlaubt hatte, waren drei Wochen gewesen, die er vor Jahren in der Hauptstadt verbracht hatte. Süßes Stadtleben, voller Müßiggang und gänzlich ungefährlich. Er hatte sich wunderbar gelangweilt und jede Minute genossen.
    Er spähte durch die Lücke zwischen den Menschen vor ihm. Die drei Männer standen noch dort. Sie wirkten gelassen und sich ihrer Sache absolut sicher. Richard versagte es sich, sie zu verfluchen. Flüche hatten Gewicht, hatte sein Vater gesagt. Worte waren Waffen, man durfte sie nie leichtfertig gebrauchen. Schon gar nicht gegen jemanden, dessen Worte weitaus mehr Gewalt hatten als seine.
    Das Fallreep wurde heruntergelassen, und die ersten Reisenden verließen das Schiff. Einen Schlafplatz hatte er bereits in einem Gasthof in der Pfaffengasse bestellt, einem schmalen Sträßchen, das zum Fluss führte. Es kam ihm vor wie ein sicherer Zufluchtsort. Doch nichts und niemand war jemals sicher.
    Der letzte Gedanke ließ ihn hochsehen zum grauen Himmel. Nichts und niemand war dort zu sehen. Gut so.
    Das Fallreep zitterte unter seinen Füßen. Er erreichte das Land, fühlte das leise Willkommen der Heimaterde, obgleich er noch weit von seinem Zuhause entfernt war.
    Er versuchte, die drei Männer, die die aussteigenden Passagiere mit scharfen Blicken maßen, zu ignorieren. Nicht hinschauen. Stattdessen sah er einen Zöllner an, der die Papiere der Reisenden überprüfte. Österreich und Bayern gehörten nicht mehr dem gleichen politischen Bund an. Sie hatten beide den Krieg gegen die Preußen verloren.
    Der Beamte erkannte ihn und salutierte.
    Von Rosberg nickte kühl . Weitere Menschen liefen hinter ihm über das Fallreep. Freilich nicht die beiden Frauen. Sollte er dem Boot folgen? Er war ziemlich sicher, dass die resolute Dame nicht im Entferntesten ermessen konnte, worauf sie sich eingelassen hatte.
    Ein Blick brannte in seinem Rücken. Jemand beobachtete ihn. Sein Haar stand ihm zu Berge, doch er weigerte sich, sich umzudrehen. Interesse würde den Beobachter nur misstrauisch machen. Richard bemühte sich, unauffällig zu sein. Er war nur ein müder Reisender, der nichts so sehr wollte, wie nach Hause zu gehen. Nichts an ihm war bemerkenswert. Nichts.
    An diesem Gedanken hielt er fest, formte ihn in seinem Sinn, legte ihn sich um die Schultern wie einen Umhang.
    Warum sich beunruhigen? Seine Bedenken waren absolut unbegründet, nichts als ein böses Erbe. Dies war das neunzehnte Jahrhundert. Man reiste in Dampfschiffen und -zügen. Er war ein gebildeter Mann, kein unwissender Bauer. Alte Sitten und Gebräuche hielten sich wohl zäh, aber irgendwann starben sie doch aus.
    Er schritt entschlossen den Kai entlang, um rasch in den engen Gassen und Häuserzeilen der halbinselartigen Landzunge zu verschwinden, die zwischen der Donau und dem Inn lag. Am Ende der Stadt flossen die beiden Flüsse zusammen, und das Wasser wurde zweifarbig, grün auf der einen, bräunlich blau auf der anderen Seite. Am Nordufer kam noch ein dünner Farbstrang dazu, die schwarzen Wasser der Ilz, die aus dem Bayerwald kam.
    Der Blick auf seinem Rücken schien immer noch Löcher in seinen Mantel zu brennen. Etwas zog an ihm wie ein Magnet. Fast konnte er eine Stimme hören: „Dreh dich um, lass dich ansehen!“
    Er drehte sich nicht um, lief stur weiter, bog um eine Ecke und holte tief Atem.
    Vielleicht konnte er davonlaufen? Doch Flucht war für Feiglinge, und er war keiner. Außerdem bedeutete Flucht Schuld. Er aber versuchte, schuldlos auszusehen, und seine Schuld – daran wollte er nicht denken.
    Vielleicht würden sie auch einfach den Grenzbeamten fragen, wer er war. Dann würde Weglaufen ohnehin nicht helfen.

Kapitel 6

    E s war kalt . Konstanze fand zurück ins Bewusstsein und stellte fest, dass sie im Wasser lag, fast erfroren, doch sie ertrank nicht. Sie spürte steinigen Grund im Rücken. Warum war sie im Wasser?
    Sie öffnete die Augen. Die Umgebung war ihr unbekannt. Gebüsch und kahle Bäume standen am Ufer. Sie lag in den Fluten und die Strömung zerrte an ihren Füßen. Ihr Kopf schmerzte. Sie versuchte, sich zu sammeln. Dampfschiff. Sie war auf einem Dampfer gewesen.
    Hellblaue Augen tauchten einen Atemzug lang in ihrem Gedächtnis auf. Sie gehörten einem hilfsbereiten Mann. Sie hätte ihn festhalten, ihn nie mehr loslassen

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