Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
hatten. Man hatte ihm ein Frühstück zugestanden. Er hatte dann den Wagen angespannt. Die Heilung des verletzten Pferdes war gut vorangeschritten. Dann hatte Marcus den Wagen beladen. Die Muskete war noch mit einer Silberkugel geladen. Eine weitere Silberkugel lud er in eine der Pistolen. Er verstaute zwei heiße Ziegel im Fußraum des Wagens. Wenigstens seine Brüder würden auf diese Weise warme Füße haben.
Er half ihnen in den Wagen und wartete auf Anweisungen. Er fühlte sich rechtschaffen in der Erfüllung seiner Pflicht.
„Werden Sie Ihre heiligen Aufgaben heute mit größerem Eifer angehen als gestern?“ Pater Bonifatius hatte eine Art zu fragen, die einen glauben machte, er interessiere sich für den Menschen, der die Aufgaben zu lösen hatte, und nicht nur für deren Lösung.
Doch Marcus waren auch hier Zweifel gekommen, die er rasch hinter einem verbindlich eifrigen Nicken versteckte.
„Selbstverständlich, Pater.“
Bruder Anselm schnaubte verächtlich.
Der Dorfpfarrer stand neben dem Wagen und betete.
Marcus knallte mit der Peitsche. Denn nur darum ging es. Ein Peitschenknallen, und schon taten die Rechtschaffenen ihre Pflicht. Noch ein Peitschenknallen, und die Sünder würden ihrer gerechten Strafe zugeführt. Wenn man so darüber nachdachte, war der Unterschied zwischen Sündern und Rechtschaffenen gar nicht so groß. Außer natürlich man zählte das Leben nach dem Tode mit. Nur darum ging es schließlich. Dennoch verstand Marcus nicht, warum dieses Jammertal gar so tief und gar so jammerig sein musste. Doch es war nicht seine Aufgabe, darüber nachzusinnen.
Sie näherten sich dem Gutshof.
„Bruder Anselm“, sagte Pater Bonifatius. „Ich verlasse mich darauf, dass Sie dafür Sorge tragen, die Anwohner zu überzeugen, dass wir das Recht haben zu tun, was zu tun ist.“
„Selbstverständlich. Nach welcher Taktik wollen Sie vorgehen, wenn wir erst einmal da sind?“
„Wir werden ihnen sagen, dass wir den Mann in Passau getroffen haben. Das ist keine Lüge. Dass er uns gebeten hat, ihm bei einigen Dingen behilflich zu sein. Das wäre kein Lüge, wenn er keine Teufelskreatur wäre, sondern ein aufrechter Christ. Mehr brauchen die Leute nicht zu wissen.“
„Ein wenig Wissen verdirbt die Menschheit“, zitierte Bruder Anselm.
Doch eine große Menge Wissen machte niemanden weniger gefährlich, dachte Marcus. Beinahe taten ihm all die Leute leid, die ihnen bei der Ausübung ihrer Pflicht noch in die Quere kommen würden.
Aber nur beinahe. Nach der letzten Nacht war fast sein ganzes Potenzial für Mitleid aufgebraucht und einem Gefühl von Selbstmitleid gewichen. Es war schwierig, mit anderen mitzuleiden, wenn man genug eigenes Leid verspürte. Die anderen waren schließlich Teufelskreaturen und somit an allem schuld: an dem, was ihnen selbst geschah, genauso wie an allem, was ihm widerfuhr. Aber er trug die gut geölten und geschärften Utensilien mit sich, um Werwölfe zu erlegen und Hexen Geständnisse abzuringen.
Genau das würde er tun, denn es war würdig und recht.
Kapitel 55
I m Traum hörte Konstanze eine Stimme. Der Besitzer der Stimme veränderte sich andauernd, während er unverständliche Silben brabbelte. Konstanze wusste, dass sie diese Silben verstehen oder zugrunde gehen musste. Doch was sie vernahm, verstand sie nicht.
Dabei war es so wichtig, es zu begreifen!
Einen Moment lang sah sie sich selbst an einen weißen Fels gekettet, mit einem klaffenden Riss in der Brust, aus dem ihre Seele herausbaumelte. Ein riesiger Rabe labte sich daran. Dann blickte er in ihr Gesicht und sagte irgendetwas. Er verließ sich darauf, dass sie verstand, was er von ihr wollte.
Sie versuchte, genauer hinzuhören, doch der Wind heulte zu laut. Sie verstand nur, dass sie etwas falsch gemacht hatte und nun dafür bezahlen musste. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch der warme Fels in ihrem Rücken gab keinen Zoll nach. Er fühlte sich lebendig an.
Wieder versuchte sie, die Stimme zu verstehen, und dieses Mal ergaben die Worte einen Sinn.
„Machen Sie keine plötzlichen Bewegungen!“
Das sollte ihr irgendwie helfen?
Einen Augenblick später öffnete sie panisch die Augen, als ihr Bewusstsein mit zu vielen Eindrücken auf einmal auf sie einstürmte. Diese fügten sich wie fallende, scharfschartige Puzzlestücke zu einem grausamen Bild zusammen .
Sie lag auf etwas Heu, war in eine Decke eingewickelt und mit einem Herrenmantel bedeckt. Der haarige Gentleman hockte direkt neben ihr,
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