Schwingen des Vergessens
aber ich habe schon oft bewiesen, dass ich als Wartra auch sehr viel leisten kann.“ Ynos grinste beinahe stolz, legte allerdings gleich wieder diesen neutralen, undurchdringlichen Blick auf, den er sonst immer zur Schau stellte. „Auf jeden Fall müssen wir reden. Kampftechniken kann ich dir keine lehren, das wird auch nicht dein Part sein. Natürlich besitzt du schon längst bessere Fähigkeiten wie ich zum Beispiel, aber ich kann dir doch noch ein paar hilfreiche Tricks geben. Desweiteren müssen wir deinen Auftritt in der Öffentlichkeit unbedingt besser hinkriegen. Denk nur an gestern. Ich will dir zwar kein schlechtes Gewissen machen, aber meine Leute haben sich mehr von dir erhofft. Vielleicht nicht gleich eine Volksrede, aber zumindest ein paar mutmachende Worte. Wenn du die Dämonen für dich gewinnen willst, musst du schon etwas mehr präsentieren als nur irgendwelche supergefährlichen Fähigkeiten. Hast du das kapiert?“
„Ja, habe ich. Nur eine Frage: Was genau willst du mir denn zeigen? Bezüglich der Reden meine ich. Ich kann dir gleich sagen, dass ich es hasse, im Rampenlicht zu stehen. Wahrscheinlich kannst du das nicht verstehen, aber trotzdem. Und bei den Fähigkeiten bringt es auch nichts, mir irgendwelche Tipps zu geben. Aus Erfahrung weiß ich, dass mir kein einziger Tipp etwas gegen Lanicel gebracht hat.“ Ynos zuckte bei dem Namen Lanicel erschrocken zusammen und versuchte eilig, sich wieder einzukriegen. Warum er vor diesem Wort so große Angst hatte, vermochte Amelie nicht zu sagen, aber wenn es ihm so wichtig war, würde sie zumindest versuchen, es zu meiden.
„Ich weiß, dass du bereits Erfahrung hast, aber eigentlich will ich gar nicht, dass du ihn besiegst. Es geht nur darum, ihn vom Thron zu stoßen. Um den Rest kümmere ich mich mit meinen Leuten. Und ich schwöre dir, dass uns viele andere Dämonen auch noch helfen werden. Es geht vorerst nur darum, dich an die Spitze zu bringen und dann habe ich die Dinge endlich in der Hand.“ Misstrauisch zog das Mädchen die Augenbrauen nach oben.
„Was heißt da 'Dann habe ich die Dinge endlich in der Hand'? Willst du mich etwa nur ausnutzen, um selbst Herrscher zu werden? Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, ob ich das will?“ Wut kam in ihr hoch, sie würde sich bestimmt nicht ausnutzen lassen, koste es, was es wolle.
„Was!? Was habe ich gesagt? Entschuldigung, wahrscheinlich habe ich mich nur versprochen. Natürlich bist DU der Herrscher und DU wirst ganz Icasan leiten.“ Der Mann grinste leicht und erhob sich. „Wir sind nun fertig hier. Anscheinend brauchst du von mir kein Training mehr, also bringe ich dich einfach mal zu den anderen. Dort kannst du deine Gabe als Rednerin mal so richtig unter Beweis stellen.“
„Was redest du da? Ich werde gar keine Rede halten, natürlich nicht.“
„Wenn du meinst, dann gehen wir eben trainieren.“ Damit war Amelie zufrieden, zumindest würde sie dabei keiner beobachten. Plötzlich spürte sie ein wildes Rumoren unter sich. Der Boden vibrierte förmlich. Sofort begann sie zu schreien und erhob sich in der engen Höhle so gut es ging in die Lüfte. Im nächsten Augenblick brach der Boden unter ihren Füßen weg, ein herzzerreißender Schrei ertönte. Panisch blickte Amelie um sich, flog von der Decke weg und erkannte gerade noch Ynos, der von den Erdteilen in die Tiefe gerissen wurde. Ein, zwei Sekunden später prallte er am Boden auf, tot. Zitternd sah sie sich um, woher kam das Erdbeben nur? Für Ynos konnte sie ohnehin nichts mehr tun, er war nicht mehr zu retten... Erst jetzt erkannte sie den Trupp, der mitten in der Halle stand und abwartend zu ihr herauf blickte. Nur ein paar Momente später zischten ungefähr zwanzig Dämonen auf sie zu, blitzschnell und ohne Erbarmen. Am Anfang war Amelie sich nicht ganz sicher, zu welcher Seite die Angreifer gehörten, doch sie wollten etwas von ihr, das war klar. Aber sie wollte es ihnen nicht geben. Mit einem Blick nach unten flog das Mädchen los. So schnell sie konnte entfernte sie sich von der Höhle und stieg immer weiter und weiter nach oben, bis die Luft langsam knapp wurde. Die Dämonen folgten ihr allerdings immer noch, sie waren schnell und sich ihrem Ziel genau bewusst. Sie wiederum hatte keine Ahnung, wohin sie wollte.
Irgendwann später kamen bereits die riesigen Kugeln in Sicht, die wie verzaubert in der Luft schwebten. Noch immer flüchtete sie vor den Angreifern, die bereits Ynos getötet hatten und bestimmt nicht
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