Science Fiction Almanach 1981
abspielt?“ fragte er mit der verblüffenden Großtu e rei der Schwulen.
„Nein“, sagte A ngelo, aber Tony brachte ihn zum L ä cheln. Auch Lynellen lächelte.
„Süßer, Chicago ist es nicht“, sagte sie. Dann fing sie an zu weinen. Ihr ganzer Körper schüttelte sich. „Das gefällt mir nicht“, schluchzte sie. „Ich will heim!“ Sie hörte abrupt mit ihrem Weinen auf, als Susie hereinkam und noch heft i ger weinte. Sie rannte zu dem Mädchen hin. „Komm, es ist alles gut“, sagte sie. „Sieh doch mal, wir sind zusammen. Ricky und Milly kommen auch, sie können jede Minute hier sein, das wirst du schon sehen. Das alles kann gar nicht so schlimm sein, wenn wir alle zusammen sind.“ A ngelo spürte einen Stich von Eifersucht, als sie das verängstigte Mädchen umarmte und tätschelte.
„Wenn sich nicht bald jemand um mich kümmert“, sagte er, „dann fangen Tony und ich bald an, uns zu umarmen.“
„Sie hat es nötiger als du!“ fuhr Lynellen ihn an.
A ngelo sah den Blick in Tonys Augen, und es tat ihm leid. Als Millicent und Ricky hereinkamen, drehte er sich ihnen zu. Ricky machte einen gedrückten Eindruck. Milly wollte sie nicht ansehen. Genau wie Lynellen, als er sie g e funden hatte, rollte sie sich auf einem Stuhl zusammen.
„Was ist denn mit ihr los?“ fragte A ngelo Ricky.
Ricky sagte: „Sie ist nackt.“
„Wir sind alle nackt.“
„Schon. Aber sie ist eine nackte Liliputanerin. Das ist häßlich. Mir macht es nichts aus, aber ihr.“
Wieder ging die Tür auf.
Was hereinkam, war – nichts. Bevor sich die Tür wieder schloß, erhaschte A ngelo einen kurzen Blick auf Sterne, die weiß wie Eis in einem schwarzen Himmel hingen. Nun aber war etwas Fremdes in dem Raum. Es zeigte sich als Verw i schung des Lichts und Verzerrung von Dimensionen, eine Diskontinuität, die sich an der Wand hochzog und durch die Hälfte des Raums kroch. Man konnte es nicht ansehen, aber man konnte auch nicht hindurchsehen. A ngelo versuchte es, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Lynellen sagte ä r gerlich und voller Angst: „Verdammt noch mal, sei entw e der ein Ding oder etwas anderes!“
Eine bekannte tiefe Stimme antwortete: „Das, was ich wirklich bin würdet ihr nicht sehen wollen.“
Ricky fuhr auf. „Marvel?“
Stille. A ngelo erkannte, wie in dem Lichtfleck ein dun k ler Schatten immer dicker wurde, bis der Zirkusdirektor vor ihnen stand, undeutlich wie ein unscharfes Foto. In seiner Hand trug er die Schlangenhautpeitsche, und er hatte seinen Frack an und den Zylinder auf dem Kopf. Lynellen sagte: „Was … wer bist du? Wo sind wir?“
„Ihr seid auf – Geplapper .“ Das Wort kam, und es klang in ihren Ohren wie Unsinn. „Ich bin der Zirkusdirektor.“
„Was hast du mit Lila und Jugger gemacht?“ wollte A n gelo wissen. „Was ist aus dem Zirkus geworden, dem Zelt, den Leuten …“
Die Gestalt in dem Fleck wendete sich ihm zu. „Sie sind nicht mitgekommen“, sagte Marvel. Die Peitsche in seiner Hand wand sich regelmäßig wie ein monströser Schwanz. „Wir haben sie zurückgelassen.“
Lynellens Stimme hob sich. „Wo sind wir?“
Eine gesamte Seite der Wand hob sich wie eine Kin o leinwand nach dem Ende der Vorstellung und verschwand.
Dahinter waren nur Sterne, die sich bis in die Unendlic h keit erstreckten. Selbst Milly hob ihren Kopf und rollte ihren gedrungenen Körper auf, um zu schauen. Susie kicherte. Das Geräusch war an diesem fremden Ort schockierend. „Er hat das Zelt in ein Raumschiff verwandelt, einfach so – schwupp!“ sagte sie und schüttelte sich. Sie weinte, ohne einen Laut von sich zu geben. Ihre Hände lagen wie Klauen auf dem kühlen, glatten Vlies ihrer Haare.
A ngelo sagte: „Du bist ein Wesen von den Sternen. Von einem anderen Planeten? Du hast uns hierhergebracht. Wa r um? Wofür?“ Er sah eine schreckliche Vision vor sich, wie sie alle in ihren kleinen Kästen gefangengehalten wurden und wie man sie durch kosmische Schlüssellöcher beobac h tete. Oder würde man sie einfach nur auf einen Tisch schna l len und sezieren?
Die Marvel-Gestalt löste sich zu einem schimmernden Licht auf, als sei es ihr zu lästig oder langweilig geworden, sie aufrechtzuerhalten. „Ihr werdet im Zirkus sein“, sagte sie. Die Sternenwand verschwand.
Sie sahen durch ein Fenster auf einen fremden und doch vertrauten Ort. Die Andeutung eines Zelts war zu erkennen. Darin, in hundert Ringen, sprangen Wesen jeder denkbaren Größe und Gestalt und Farbe
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