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Science Fiction Almanach 1983

Science Fiction Almanach 1983

Titel: Science Fiction Almanach 1983 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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ge­hör­ten, er war der Meis­ter, und ich muß­te mich fü­gen. Nach kur­z­er Zeit ent­glitt mir die Len­kung des Ex­pe­ri­ments, ich hat­te es nicht mehr in der Hand. Das Kind such­te und fand mich, so­oft es woll­te, ich ge­riet in ei­ne te­le­pa­thi­sche Ab­hän­gig­keit, aus der ich mich nicht mehr be­frei­en konn­te.
    So kam es vor, daß sich das rhyth­mi­sche Pul­sie­ren in mei­nem Hirn wäh­rend mei­ner Ar­beit in der Pra­xis mel­de­te, ich muß­te mich von mei­nen Pa­ti­en­ten ab­wen­den und dem Klei­nen zu­hö­ren. Er wuß­te of­fen­bar stets, wo ich mich auf­hielt, mir aber blieb, was er tat, ver­bor­gen, viel­leicht schlief er, saug­te an der Brust sei­ner Mut­ter oder lach­te im Kin­der­wa­gen. Er rief mich, wann im­mer er woll­te, stell­te selt­sa­me Fra­gen, zum Bei­spiel: Hel­fen al­le Men­schen an­de­ren, so wie du es tust? Oder: Warum gibt es so­viel Furcht und Ein­sam­keit? Ich sag­te wohl grob: Sel­ten hel­fen die Men­schen ein­an­der, das täg­li­che Le­ben be­steht aus Kampf, je­der will den an­de­ren über­vor­tei­len, oder so ähn­lich. Das The­ma ‚mensch­li­che Ge­sell­schaft’ be­schäf­tig­te die See­le des Kin­des un­ent­wegt. Sie schi­en über­aus em­sig in mei­nen Er­fah­run­gen her­um­zu­stö­bern, tauch­te dann mit Fund­stücken auf, die ich be­reits als selbst­ver­ständ­lich ver­ges­sen hat­te, und rüt­tel­te dar­an.
    Ich darf mit Ge­neh­mi­gung des Ho­hen Ge­richts aus mei­nen No­ti­zen ein Bei­spiel vor­le­sen. Der Klei­ne frag­te: Die Er­de hat ih­re Gü­ter sehr un­gleich ver­teilt, ei­ni­ge Men­schen sind reich, vie­le sind arm, warum wer­den die­se Ge­gen­sät­ze nicht aus­ge­gli­chen? – Ant­wort: Die Rei­chen hal­ten an die­sen Ge­gen­sät­zen fest. – Fra­ge: Warum? – Ant­wort: Wer schon im Be­sitz von Vor­tei­len ist, ver­sucht, sie noch aus­zu­bau­en.
    Ein grau­si­ges Spiel, nicht wahr, Herr Rich­ter, ich war fest­ge­na­gelt, aus­wei­chen konn­te ich nicht, flie­hen – wie? Ge­wis­sen­haft ver­merk­te ich je­den Kon­takt, schrieb Uhr­zeit, In­halt und Be­son­der­hei­ten auf, no­tier­te so den Ver­lauf des Ex­pe­ri­ments. Stun­den­lang be­trach­te­ten wir das Trei­ben der Men­schen, ich ahn­te lang­sam, daß et­was Ent­setz­li­ches ge­sche­hen wür­de, denn mein Ex­pe­ri­ment hin­der­te das Kind dar­an, sei­nen ei­ge­nen, ganz na­tür­li­chen Ego­is­mus zu ent­wi­ckeln, der es be­fä­hi­gen wür­de, in un­se­rer Ge­mein­schaft auch zu be­ste­hen. Es ver­ließ sich ja auf mein Den­ken und auf mei­ne Er­fah­run­gen, not­wen­di­ger­wei­se muß­te es sein ei­ge­nes Ge­hirn ver­nach­läs­si­gen. Ich sah die­se Ge­fahr von Tag zu Tag deut­li­cher, woll­te mich dem Ge­spräch ent­zie­hen, aber der Klei­ne spür­te mich auf, so­weit ich mich auch ent­fern­te.
    Im­mer häu­fi­ger sag­te er: Ich mag eu­re Welt nicht. Ich mag sie nicht. Wir ha­ben sie uns nicht aus­ge­sucht, sag­te ich lahm, wir müs­sen mit ihr fer­tig wer­den, so wie sie ist.
    Be­klom­men no­tier­te ich, wie sehr es ihn ängs­tig­te, er fürch­te­te sich vor der Welt, in die er hin­ein­wuchs. Wie ge­lähmt hock­ten wir im schreck­li­chen Strom der Zeit und steu­er­ten sei­nem Un­ter­gang zu, Herr Rich­ter, nie­man­dem wün­sche ich die­se Qual, die Ka­ta­stro­phe mit­an­se­hen zu müs­sen und sie nicht ver­hin­dern zu kön­nen. Ich schloß mei­ne Pra­xis, be­haup­te­te, ver­reist zu sein, hielt die Vor­hän­ge in mei­nem Haus ge­schlos­sen und trau­te mich nicht mehr auf die Stra­ße. Mei­ne Vor­rä­te gin­gen zu En­de, ich leb­te von Li­mo­na­de und Kek­sen, meist blieb ich im Bett.
    End­lich, am Nach­mit­tag des 28. Mai, stell­te ich er­leich­tert fest, schon seit mehr als vier­und­zwan­zig Stun­den nicht mehr an­ge­spro­chen wor­den zu sein. Ich glaub­te, mei­ne Zu­rück­hal­tung sei frucht­bar ge­we­sen, der Klei­ne ha­be den Kon­takt auf­ge­ge­ben, und has­tig mach­te ich mich dar­an, mein zer­pflück­tes und durch­ge­schüt­tel­tes Be­wußt­sein wie­der zu ord­nen. Et­was spä­ter kam mir der Ge­dan­ke, der na­tür­li­che Ver­lauf der Din­ge ha­be uns ge­hol­fen, die Fon­ta­nel­le des Klei­nen könn­te

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