Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
Körper. „Maggie!“ Seine Kehle war ausgetrocknet, die Worte kamen mühsam, leise und rauh. Er sprach sehr langsam und stellte sich dabei den Klang jedes Wortes vor, um sich zu zwingen, es auszusprechen. In seinem Kopf drehte sich alles, aber er mußte es wissen, bevor er sich dem überließ. „Maggie, warum … hast du … mir nichts gesagt?“
„Was gesagt, Schatz?“ Margaret nahm die ewige Haltung der Frau gegenüber dem kindischen Ungestüm des Mannes ein. Ihr plötzliches Lachen klang wunderbar mühelos und natürlich in diesem Zimmer; jetzt war ihr alles klar. „Ist sie naß? Ich wußte es nicht.“
Sie wußte es nicht. Unkontrolliert fuhren seine Hände auf der weichen Haut des Babykörpers auf und ab, dem glatten, gliederlosen Körper. O Gott, guter Gott! – In seinem Kopf schwankte es, und seine Muskeln zogen sich in einem schmerzlichen Krampf von Hysterie zusammen. Seine Hände schlossen sich fester um sein Kind – o Gott, sie wußte es nicht …
Wilmar H. Shiras Im Verborgenen (In Hiding)
Die 1908 geborene Amerikanerin Wilmar H. Shiras ist die zweite Frau in dieser Anthologie. Sie schrieb neben Sachbüchern und Artikeln auch einige SF-Geschichten, die sie mit einem Schlag bekannt machten und die zu dem Buch „Children of the Atom“ (1953) zusammengefaßt wurden. Es handelt sich dabei im einzelnen um die Noveletten „In Hiding“ (1948), „Opening Doors“ (1949) und „New Foundations“ (1950), die allesamt in „Astounding“ erschienen. Der Roman und speziell die erste der Noveletten, die wir auch für diesen Band auswählten, beschreibt das Heranwachsen eines jugendlichen Genies, eines positiven Mutanten, der in einer feindlich eingestellten Umwelt seine Fähigkeiten zu verbergen trachtet. Das Besondere an dieser Geschichte ist das Einfühlungsvermögen, das die Autorin aufbringt und das im Gegensatz zu den Klischees vieler Mutantenstories steht. Das Problem wird von ihr eher nüchtern realistisch und nicht sensationsheischend angegangen. Obwohl Wilmar H. Shiras sonstiger Einfluß auf die SF gleich Null war, hinterließen „Children of the Atom“ und „In Hiding“ einen bleibenden Eindruck. Die Novelette war genau am Puls der Zeit und so typisch für die Jahre 1945 – 49, daß wir nicht auf sie verzichten konnten.
Peter Welles, Psychiater, musterte den Jungen nachdenklich. Warum war Timothy Paul von seiner Lehrerin zu ihm zur Untersuchung geschickt worden?
„Ich weiß selbst nicht, ob an Tim wirklich etwas nicht in
Ordnung ist“, hatte Miß Page Dr. Welles erklärt. „Mir kommt er ganz normal vor. Er ist gewöhnlich recht ruhig und meldet sich in der Schule nur selten. Mit den anderen Jungen kommt er gut zurecht und scheint auch einigermaßen beliebt, obwohl er keine besonderen Freunde hat. Seine Noten sind befriedigend – eigentlich in allen Fächern. Aber wenn man so lange wie ich im Lehrberuf war, Peter, dann bekommt man da ein gewisses Gefühl. Irgend etwas an ihm wirkt angespannt – manchmal ist es ein ganz bestimmter Blick, den er hat – und er ist häufig geistesabwesend.“
„Was nehmen Sie denn an?“ hatte Welles sie gefragt. Manchmal waren solche Vermutungen sehr nützlich. Miß Page hatte dreißig Jahre Lehrerfahrung. Sie hatte Peter in letzter Zeit unterrichtet, und er hielt sehr viel von ihrer Meinung.
„Eigentlich sollte ich das nicht sagen“, antwortete sie. „Das ist eigentlich überhaupt nichts Greifbares – noch nicht. Aber vielleicht fängt irgend etwas an, und wenn man das verhindern könnte …“
„Es werden oft Ärzte gerufen, ehe die Symptome sich genügend ausgeprägt haben“, sagte Welles. „Ein Patient oder die Mutter eines Kindes oder jeder sonstwie geübte Beobachter kann oft besser erkennen, daß sich etwas in die falsche Richtung entwickelt. Aber für den Arzt sind solche Fälle sehr schwierig. Sagen Sie mir, worauf ich achten sollte.“
„Sie werden das aber nicht zu ernst nehmen, ja? Es ist mir einfach so in den Sinn gekommen, Peter; ich weiß, daß ich nicht in Psychiatrie ausgebildet bin. Aber es könnte eine Art Größenwahn sein. Vielleicht auch der Versuch, sich aus der Gesellschaft anderer zurückzuziehen. Ich muß ihn jedenfalls meist zweimal ansprechen, bevor er mich bemerkt – und richtige Freunde hat er auch nicht.“
Welles hatte sich schließlich bereit erklärt, sich den Jungen anzusehen und versprochen, sich nicht von ,den Spinnereien einer alten Frau’, wie Miß Page das selbst nannte, zu sehr beeinflussen zu
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