Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
er noch zu jung, um zu wissen, was eine Lüge ist. Aber ich fand, daß es meine Pflicht war, ihm das klarzumachen. Als er darauf beharrte, schlug ich ihn. Das Kind hatte ein erstaunliches Gedächtnis, und vielleicht dachte es, das sei alles, worauf es beim Lesen auch ankäme. Nun! Ich will nicht mit meiner Brutalität prahlen“, sagte Mrs. Davis mit einem bezaubernden Lächeln. „Ich kann Ihnen versichern, Dr. Welles, daß es für mich ein sehr schmerzliches Erlebnis war. Wir hatten sehr wenig Anlaß zur Strafe. Timothy ist ein guter Junge.“
Welles murmelte, daß er davon überzeugt wäre.
„Timothy, du kannst jetzt deine Zeitungen austragen“, sagte Mrs. Davis. „Ich bin sicher, daß es Dr. Welles recht sein wird.“ Und damit machte sie es sich für ein gutes langes Gespräch über ihren Enkel bequem.
Timothy war, wie es schien, so etwas wie ihr Augapfel. Er war ein stiller Junge, ein gehorsamer Junge und ein kluger Junge.
„Wir haben natürlich unsere Regeln. Ich habe Timothy immer eingeschärft, daß man Kinder nur sehen, aber nicht hören dürfe, wie es in dem altmodischen Sprichwort heißt. Als er als Drei- oder Vierjähriger lernte, Rad zu schlagen, kam er immer wieder zu mir und sagte: ‚Großmutter, schau mich an!’ Ich mußte einfach streng mit ihm sein, ‚Timothy’, sagte ich, ,hör auf damit! Das ist einfach nur Prahlerei. Wenn es die Spaß macht, Rad zu schlagen, nun gut, aber mir macht es keinen Spaß, dir endlos dabei zuzusehen. Spiel ruhig, wenn du magst, aber verlange keine Bewunderung.’“
„Haben Sie nie mit ihm gespielt?“
„Sicher habe ich mit ihm gespielt. Es hat mir auch Freude bereitet. Wir – Mr. Davis und ich – haben ihm eine Menge Spiele beigebracht und alle möglichen Fertigkeiten. Wir haben ihm Märchen vorgelesen und ihm Gedichte und Lieder beigebracht. Ich habe sogar einen speziellen Kindergartenkurs gemacht, um dem Kind Freude zu machen – und ich muß zugeben, daß es mir auch Freude machte!“ fügte Tims Großmutter hinzu und lächelte dann in der Erinnerung. „Wir haben aus Zahnstochern mit kleinen Tonbällchen an den Ecken Häuser gebaut. Sein Großvater hat Spaziergänge mit ihm gemacht oder hat ihn mit dem Wagen mitgenommen. Heute haben wir keinen Wagen mehr, weil mein Mann nicht mehr so gut sieht, und deshalb ist die Garage heute Timothys Werkstatt. Wir haben Fenster einsetzen lassen und eine Tür und das Tor zugenagelt.“
Bald stellte sich heraus, daß Tims Leben keineswegs nur aus Verboten und Strenge bestand. Er hatte seine eigene Werkstatt und im Obergeschoß neben seinem Schlafzimmer eine eigene kleine Bibliothek und ein Arbeitszimmer.
„Dort bewahrt er seine Bücher und Schätze auf“, sagte seine Großmutter, „sein eigenes kleines Radio und seine Schulbücher und seine Schreibmaschine. Er war erst sieben, als er uns um eine Schreibmaschine bat. Aber er ist ein sehr gehorsames Kind, Dr. Welles, gar nicht destruktiv, und ich hatte gelesen, daß man in vielen Schulen Kindern Schreibmaschinen gibt, um sie Lesen und Schreiben zu lehren. Die Wörter sehen genauso aus wie in gedruckten Büchern, wissen Sie, und es kostet weniger Muskelkraft. Also kaufte ihm sein Großvater eine schöne, leise Schreibmaschine, und er liebt sie heiß. Ich höre sie oft summen, wenn ich durch den Korridor gehe. Timothy hält seine Zimmer hübsch in Ordnung und seine Werkstatt auch. Das ist sein eigener Wunsch. Sie wissen ja, wie Jungen sind – und mögen es nicht, wenn andere sich in ihre Sachen mischen. ,Also gut, Timothy’, habe ich zu ihm gesagt, ,wenn ich sehe, daß du es selbst richtig machst, wird niemand deine Zimmer betreten; aber du mußt sie sauber halten.’ Und das tut er jetzt schon seit einigen Jahren. Ein sehr ordentlicher Junge, unser Timothy.“
„Timothy hat gar nicht erwähnt, daß er Zeitungen austrägt“, meinte Welles. „Er sagte nur, er würde mit den anderen Jungs nach der Schule spielen.“
„O ja, das tut er“, sagte Mrs. Davis. „Er spielt bis fünf, und dann trägt er seine Zeitungen aus. Wenn er sich verspätet, geht sein Großvater ihm entgegen und ruft ihn. Die Schule ist nicht weit von hier, und Mr. Davis geht oft hin und sieht den Kindern beim Spielen zu. Mit den Zeitungen verdient Timothy sich das Geld, um seine Katzen zu füttern. Mögen Sie Katzen, Dr. Welles?“
„Ja, sehr“, sagte der Psychiater. „Viele Jungen mögen aber lieber Hunde.“
„Timothy hatte als Baby einen Hund – einen Collie.“ Ihre Augen waren feucht.
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