Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
daß er ganz offenkundig dem Psychiater nicht vertraute und eine ungewöhnlich hohe emotionelle Selbstkontrolle an den Tag legte.
Miß Page hatte recht gehabt; der Junge brauchte Hilfe.
„So“, meinte Welles vergnügt, „das hätten wir. Wir gehen es nur noch einmal ganz schnell durch, und dann sage ich dir, was andere Leute aus den Karten herausgelesen haben.“
Einen Augenblick lang hatte er den Eindruck, als leuchtete in den Augen des Jungen echtes Interesse auf.
Welles ging die Karten langsam durch, insbesondere, als er bemerkte, daß Tim auf jedes Wort achtete. Als er das erstemal sagte: „Manche Leute sehen das genauso wie du“, war die Erleichterung des Jungen offenkundig. Tim begann sich zu lockern und von sich aus einige Bemerkungen zu machen. Als sie mit den Karten fertig waren, stellte er eine Frage.
„Dr. Welles, könnten Sie mir den Namen dieses Tests sagen?“
„Manchmal nennt man das den Rorschach-Test, nach dem Mann, der ihn entwickelt hat.“
„Würden Sie mir das bitte buchstabieren?“
Das tat Welles und fügte dann hinzu: „Manchmal nennt man ihn auch den Tintenklecks-Test.“
Tim zuckte überrascht zusammen und riß sich dann mit sichtlicher Mühe zusammen.
„Was ist denn? Du bist zusammengezuckt.“
„Nichts.“
„Ach, was soll das? Raus damit.“ Welles wartete.
„Nur weil ich über den Tintenteich in den KiplingGeschichten nachgedacht habe“, sagte Tim, nachdem er eine Weile überlegt hatte. „Das hier ist anders.“
„Ja, sehr“, lachte Welles. „Ich habe das nie versucht. Würdest du das gerne?“
„O nein, Sir“, rief Tim ernst.
„Du bist heute etwas nervös“, sagte Welles. „Wir haben noch Zeit, uns etwas zu unterhalten, wenn du nicht zu müde bist.“
„Nein, ich bin nicht müde“, sagte der Junge vorsichtig.
Welles trat an einen Schrank und holte eine Spritze aus einer Schublade. Üblicherweise tat man das nicht, aber vielleicht …
„Ich gebe dir bloß eine Spritze, damit deine Nerven sich etwas entspannen, ist dir das recht? Dann geht es leichter.“
Als er sich umdrehte, blickte ihm aus den Augen des Kindes das nackte Entsetzen entgegen.
„O nein, nicht! Bitte, bitte nicht!“
Welles legte die Spritze wieder an ihren Platz und schloß die Schublade, ehe er etwas sagte.
„Ich tu’ es ja nicht“, sagte er ruhig. „Ich habe nicht gewußt, daß du Spritzen nicht magst. Ich gebe dir keine, Tim.“
Der Junge, der immer noch um seine Fassung kämpfte, schluckte und sagte nichts.
„Es ist schon gut“, sagte Welles, zündete sich eine Zigarette an und tat so, als sähe er dem aufsteigenden Rauch nach. Er durfte jetzt unter keinen Umständen den Anschein erwecken, als beobachte er den verstörten Jungen, der ihm gegenüber saß und beinahe zitterte. „Tut mir leid. Du hast mir nicht erzählt, was du nicht magst und wovor du Angst hast.“
Die Worte hingen in dem nun folgenden Schweigen.
„Ja“, sagte Timothy endlich langsam. „Ich habe Angst vor Spritzen. Ich hasse Nadeln. Da kann man nichts machen.“ Er versuchte zu lächeln.
„Dann werden wir ohne sie auskommen. Du hast sämtliche Tests bestanden, Tim und ich würde gerne mit dir nach Hause gehen und deiner Großmutter davon erzählen. Ist dir das recht?“
„Ja, Sir.“
„Unterwegs essen wir eine Kleinigkeit“, fuhr Welles fort und öffnete seinem Patienten die Tür. „Ein Eis vielleicht oder ein Würstchen.“
Sie gingen zusammen hinaus.
Timothy Pauls Großeltern, Mr. und Mrs. Herbert Davis, wohnten in einem großen altmodischen Haus, das nach Geld und Einfluß roch. Das Grundstück war groß und eingezäunt und ringsum von gepflegten Büschen umgeben. Im Innern des Hauses gab es wenig Neues, und alles wirkte sehr gepflegt. Timothy führte den Psychiater in Mr. Davis’ Bibliothek und ging dann seine Großmutter suchen.
Als Welles Mrs. Davis sah, glaubte er einen Teil der Erklärung zu haben. Manche Großmütter sind gelockert, vergnügt und vergleichsweise jung. Diese Großmutter war, wie sich bald zeigte, ganz anders.
„Ja, Timothy ist schon ein guter Junge“, sagte sie und lächelte ihrem Enkel zu. „Wir sind immer streng mit ihm gewesen, Dr. Welles, aber ich glaube, das zahlt sich aus. Selbst als er noch ein Baby war, versuchten wir ihm beizubringen, was sich gehört. Zum Beispiel, als er gerade drei Jahre alt geworden war, las ich ihm gelegentlich Märchen vor. Und ein paar Tage später wollte er uns vormachen, ob Sie’s glauben oder nicht, daß er sie selbst lesen konnte! Vielleicht war
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