SdG 04 - Die eisige Zeit
vor.«
Der in mir?
»Leider«, fuhr der Seher fort, »ist der Thron der Tiere verwaist – weder du noch jener Tiergott können es mit meiner Stärke aufnehmen. Doch auch wenn dem so ist, hätte es dir – wäre ich unwissend geblieben – sehr wohl gelingen können, mich zu ermorden. Du hast gelogen!«
Die letzten anklagenden Worte waren ein Schrei, und Toc sah plötzlich nicht mehr einen alten Mann vor sich stehen, sondern ein Kind.
»Lügner! Lügner! Und dafür wirst du leiden!« Der Seher fuchtelte wild mit den Händen.
Schmerzen rasten durch Toc den Jüngeren, legten eiserne Bande um seinen Körper, seine Glieder, hoben ihn hoch. Knochen brachen. Der Malazaner schrie auf.
»Zerbrich! Oh ja, zerbrich in Stücke! Aber ich werde dich nicht töten, nein, jetzt noch nicht, noch lange, lange nicht! Oh, sieh nur, wie du dich windest, doch was weißt du schon von wirklichen Schmerzen, Sterblicher? Nichts. Aber ich werde dir Schmerzen zeigen, Toc der Jüngere. Ich werde dich lehren …«Er gestikulierte erneut.
Plötzlich schwebte Toc in absoluter Dunkelheit. Die Agonie, die ihn in ihren Klauen hielt, wurde nicht schwächer, doch sie wurde auch nicht schlimmer. Seine keuchenden Atemzüge hallten dumpf in der schwülen, abgestandenen Luft wider. Er … er hat mich weggeschickt. Mein Gott hat mich weggeschickt … und jetzt bin ich wirklich allein. Allein …
In der Nähe bewegte sich etwas, etwas Großes. Harte Haut scheuerte raschelnd gegen Stein. Ein wimmerndes Geräusch drang an Tocs Ohren, wurde lauter, kam näher.
Mit einem Aufkreischen schlangen sich ledrige Arme um den Malazaner, zogen ihn in eine erstickende, verzweifelte Umarmung. Gegen einen schlaffen, rauhäutigen Busen gedrückt, fand Toc sich in der Gesellschaft von mehr als einem Dutzend Leichnamen in den unterschiedlichsten Stadien der Verwesung wieder – alle in der verlangenden Umarmung riesiger reptilhafter Arme.
Gebrochene Rippen mahlten und rissen an Tocs Brust.
Seine Haut war schlüpfrig von Blut, doch welch eine heilende Zauberei der Seher ihm auch hatte zuteil werden lassen, sie war noch immer wirksam und fügte die Knochen langsam wieder zusammen, die dann aufs Neue in der wilden Umarmung der Kreatur, die ihn jetzt festhielt, gebrochen wurden.
Die Stimme des Sehers erklang in seinem Kopf. Ich bin der anderen müde … doch dich werde ich am Leben erhalten. Du bist es wert, meinen Platz in dieser sanften, mütterlichen Umarmung einzunehmen. Oh, sie ist wahnsinnig. Vollkommen wahnsinnig, doch der Funke des Verlangens glimmt noch immer in ihr. Ein solches Verlangen. Hüte dich, oder es wird dich verschlingen, wie es mich verschlungen hat – bis ich so widerwärtig geworden bin, dass sie mich wieder ausgespuckt hat. Wenn Verlangen übermächtig wird, wird es zu Gift, Toc der Jüngere. Zum großen Verderber der Liebe, und so soll es auch dich verderben. Deinen Körper. Deinen Geist. Kannst du es spüren? Es hat schon angefangen. Kannst du es spüren, teurer Malazaner?
Er bekam keine Luft um zu schreien, doch die Arme, die ihn hielten, spürten sein Erschauern und drückten ihn fester.
Leises Wimmern erfüllte das Zimmer – Tocs Stimme und die des Wesens, das ihn gefangen hielt.
Kapitel Dreizehn
Zu jenem Zeitpunkt war Einarms Heer vielleicht die beste Armee, die das malazanische Imperium jemals hervorgebracht hatte, selbst in Anbetracht der Dezimierung der Brückenverbrenner vor Fahl. Aus den unterschiedlichsten Regimentern zusammengezogen, zu denen Kompanien aus dem Reich der Sieben Städte, aus Falar und von der Insel Malaz gehört hatten, waren von diesen zehntausend Soldaten laut Liste viertausendneunhundertzwölf Frauen, die übrigen Männer; eintausendzweihundertsiebenundsechzig waren jünger als fünfundzwanzig Jahre, siebenhunderteinundzwanzig älter als fünfunddreißig; die Übrigen lagen dazwischen.
Das ist in der Tat bemerkenswert. Und noch mehr, wenn man dies bedenkt: Unter den Soldaten waren Veteranen der wickanischen Kriege (siehe Coltaines Rebellion), des Aren-Aufstands (auf beiden Seiten) und der Kämpfe im Schwarzhund-und Mottwald.
Wie beurteilt man eine solche Armee? Nach ihren Taten; und das, was sie in der Pannionischen Domäne erwartete, würde aus Einarms Heer eine in Stein gemeißelte Legende machen.
Östlich von Saltoan,
eine Geschichte der Pannionischen Kriege
Gouridd Palah
M
ücken schwärmten über die mit hohem Gras bewachsene Prärie, körnige schwarze Wolken taumelten über das
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