SdG 05 - Der Tag des Sehers
Wein ist überraschend gut«, murmelte Keruli. »In Anbetracht der Tatsache, dass dies eine Art Kriegsrat ist, scheint mir der Ort passend. Ich für meinen Teil habe eine oder zwei Fragen an die Kommandanten der ausländischen Armee.«
Der einarmige Malazaner sah ihn an. »Fragt.«
»Danke, Hohefaust, gerne. Zunächst einmal – es fehlt jemand, oder? Sind denn keine Tiste Andii unter Euch? Und ihr legendärer Anführer, Anomander Rake, der Lord von Mondbrut, sollte er nicht hier sein? In der Tat, man fragt sich, wo Mondbrut eigentlich ist – die taktischen Vorzüge eines solchen Bauwerks – «
»Einen Moment bitte«, unterbrach ihn Bruth. »Eure Frage setzt … vieles voraus. Ich glaube nicht, dass wir schon so weit sind, strategische Überlegungen zu besprechen. Was uns betrifft, so ist Capustan nur ein Zwischenhalt auf unserem Marsch; die Befreiung der Stadt durch die Barghast war eine strategische Notwendigkeit, allerdings nur die erste von vielen, die in diesem Krieg zweifellos noch kommen werden. Wollt Ihr nun vorschlagen, Hohepriester, dass Ihr auf direkte Weise etwas zu diesem Feldzug beitragen wollt? Mir will scheinen, dass Eure vordringliche Sorge im Augenblick dem Wiederaufbau Eurer Stadt gelten sollte.«
Keruli lächelte. »Und so werden Fragen ausgetauscht, aber bis jetzt noch keine Antworten.«
Bruth runzelte die Stirn. »Anomander Rake und der Großteil seiner Tiste Andii sind nach Mondbrut zurückgekehrt. Sie – und die fliegende Festung – werden eine Rolle in diesem Krieg spielen, aber darüber wird es keine weiteren Ausführungen geben.«
»Umso besser, dass Rake nicht hier ist«, bemerkte Rath’Schattenthron, die Maske zu einem höhnischen Grinsen verzogen. »Er ist absolut unberechenbar und ausgesprochen tödlich als Gesellschaft.«
»Was Euer Gott nur bestätigen kann«, sagte Keruli lächelnd und wandte sich dann wieder an Bruth. »Diese Antworten reichen vollkommen aus, um zu rechtfertigen, dass Ihr im Gegenzug ebensolche bekommt. Wie Ihr schon bemerkt habt, gilt die vorrangige Sorge des Maskenrats dem Wiederaufbau von Capustan. Nichtsdestotrotz sind meine Kollegin und meine Kollegen – außer behelfsmäßigen Gouverneuren – allesamt Diener ihrer Götter. Niemand hier kann über den turbulenten Zustand des Pantheons vollkommen in Unkenntnis sein. Ihr, Caladan Bruth, tragt schließlich Brands Hammer und ringt fortwährend mit der Verantwortung, die das mit sich bringt. Während die Grauen Schwerter, eines Gottes verlustig, sich entschieden haben, vor zwei anderen das Knie zu beugen – einem vermählten, wenn auch reifen Paar. Grantl, mein ehemaliger Karawanenführer, wurde als Todbringendes Schwert eines neuen Gottes wiedergeboren. Die Götter der Barghast sind wiederentdeckt worden, eine uralte Horde, über deren Macht und Wesensart wir kaum etwas wissen. Tatsächlich, wenn ich mich hier so umschaue, sind die beiden einzigen wirklich unabhängig Handelnden an diesem Tisch Hohefaust Dujek Einarm und sein Stellvertreter Elster. Die Malazaner.«
Itkovian sah die verschlossene Miene Caladan Bruths und fragte sich, was es mit der Verantwortung für den Hammer auf sich hatte, die Keruli so vergnügt erwähnt hatte.
Ein bellendes Lachen zerriss die nachfolgende Stille; es stammte von dem hinter Bruth stehenden grauhaarigen Krieger, »Ihr habt passenderweise Euch selbst ausgelassen, Priester. Ihr gehört zum Maskenrat, seid jedoch unmaskiert. Ja, wie es scheint, seid Ihr in ihrer Gesellschaft auch nicht sonderlich willkommen. Eure Kollegen zeigen klar und deutlich, welchen Göttern sie dienen, Ihr dagegen nicht. Warum?«
Kerulis Lächeln war gütig und gelassen. »Teurer Kallor, wie du unter dem Fluch dahingewelkt bist. Schleppst du immer noch den bedeutungslosen alten Thron mit dir herum? Ja, das hatte ich fast vermutet – «
»Ich habe mir schon gedacht, dass du es bist«, zischte Kallor. »Was für eine armselige Verkleidung – «
»Die Fragen körperlicher Manifestation haben sich als problematisch erwiesen.«
»Du hast deine Macht verloren.«
»Nicht ganz. Sie hat sich … weiterentwickelt, und so bin ich gezwungen, mich anzupassen und zu lernen.«
Der Krieger griff nach seinem Schwert. »Mit anderen Worten, ich könnte dich jetzt töten – «
»Ich fürchte, das könntest du nicht«, seufzte Keruli. »Nur in deinen Träumen. Vielleicht. Aber andererseits – du träumst doch gar nicht mehr, Kallor, oder? Umschließt dich nicht jede Nacht der Abgrund? Vergessenheit –
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